Verkehrte Welt: progressiver Papst vs. reaktionärer evangelischer Pfarrer

Ich bin zwar nicht besonders kirchlich erzogen aufgewachsen, aber mir war trotzdem schon immer irgendwie klar: Die katholische Kirche ist eher rückwärtsgewandt, die Protestanten hingegen zeigen sich da schon eher etwas weltoffener und fortschrittlicher. Nun soll man solche großen Institutionen wie die evangelische und die katholische Kirche gewiss nicht nur an zwei Personen festmachen, aber deren Verhalten in den letzten Wochen und Monaten ist vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Konfession schon beachtenswert. Und Gauck sowie der Papst sind ja nun auch nicht nur irgendwelche Hinterbänkler, sondern schon gewichtige Repräsentanten (wenngleich Gauck nun eher in einem weltlichen Amt).

Die Menschen in unserem Land haben überwiegend keine Lust auf Krieg. Das ist schon mal eine sehr positive Sache, denn auch ich sehe Krieg nicht als Ultima ratio der Politik, sondern (nach Willy Brandt) als Ultima irratio. Leider ist da unser Bundespräsident Gauck anderer Ansicht, und das hat er auch schon mehrmals deutlich vorgetragen. Wie aus diesem Artikel von German-Foreign-Policy.com hervorgeht, ist Gauck damit ein prominenter Wortführer einer größer angelegten Kampagne, die beim Volk Kriegsbegeisterung wecken soll. Insofern bekommt Gauck auch (neben einiger Kritik, wie zum Beispiel von ostdeutschen Pfarrern in einem offenen Brief oder von Jakob Augstein in seiner Kolumne auf Spiegel Online) von allen möglichen Seiten Zuspruch für seine Äußerungen, auch aus Ecken, aus denen man nicht unbedingt damit gerechnet hätte, wie der taz. Hier schreibt Dominic Johnson in einem Kommentar von einem selbstgerechten Shitstorm gegen Gauck und seine Äußerungen pro Kriegseinsätze der Bundeswehr und führt dabei, neben dem von Kriegsbefürwortern stets unvermeidlich erwähnten D-Day, an, dass mit einem militärischen Eingreifen in Ruanda vor 20 Jahren viele Menschenleben hätten gerettet werden können.

Dies mag nun auf den ersten Blick durchaus plausibel klingen, offenbart aber bei genauerem Nachdenken die vorherrschende Logik bei Kriegseinsätzen: Wo nichts zu holen ist, da wird auch nicht interveniert. Libyen – klar, Öl. Genauso wie im Irak. Afghanistan – Rohopium. Ruanda? Tja, irgendwie nichts Interessantes … Wie aus diesem Artikeln in den Blättern für deutsche und internationale Politik (leider nur als Bezahlartikel) hervorgeht, war es nun nicht so, dass die Geschehnisse in Ruanda aus heiterem Himmel kamen, sondern es gab genügend Anzeichen für einen bevorstehenden Genozid an den Tutsi. Aber niemand hat eingegriffen, weil es eben nicht lohnenswert ist. Kriege werden nicht aus humanitären Gründen geführt, auch wenn Gauck uns das glauben machen möchte, sondern immer nur aus handfesten wirtschaftlichen oder auch geopolitischen Interessen. Schließlich ist die humanitäre Bilanz der letzten von deutschen Bündnispartner geführten Kriege ja eher verheerend, sodass es schon reichlich zynisch anmutet, nun genau diese humanitären Gründe anzuführen, um weitere derartige Einsätze, nur eben mit stärkerer deutscher Beteiligung, zu fordern. Zumal man Gauck bei seinem ständigen Engagement für den menschenverachtenden Neoliberalismus auch irgendwie nicht richtig abnehmen kann, dass er nun auf einmal ein Freund der Schwachen sein soll, die es mit militärischen Mitteln zu schützen gilt. Wollte Gauck hier Glaubwürdigkeit erreichen, dann sollte er vielleicht zuerst mal aufhören, sich ständig den sogenannten Eliten anzubiedern und in speichelleckender Manier deren menschenverachtende Mantras wiederzukäuen.

Ganz anders nun Papst Franziskus, der ein Amt bekleidet, dass von seinem Vorgänger noch deutlich reaktionär geprägt war. Schon Ende letzten Jahres hat er in seinem apostolischen Lehrschreiben eine deutlich Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem formuliert (s. dazu diesen Artikel in der Handelszeitung), und nun bringt er seine Haltung zum Krieg in einem Interview mit dem Domradio unmissverständlich zum Ausdruck:

Es ist bewiesen, dass wir mit der Nahrung, die übrigbleibt, die Hungernden ernähren könnten. Wenn Sie Fotos von unterernährten Kindern in verschiedenen Teilen der Welt sehen, dann schlägt man die Hände über dem Kopf zusammen, das ist nicht zu verstehen! Ich glaube, wir sind in einem Weltwirtschaftssystem, das nicht gut ist … Wir haben das Geld in den Mittelpunkt gestellt, den Geldgott. Wir sind in den Götzendienst des Geldes verfallen … Wir schließen eine ganze Generation aus, um ein Wirtschaftssystem aufrecht zu erhalten, das nicht mehr zu ertragen ist. Ein System, in das Krieg führen muss, um zu überleben… Aber weil man keinen Dritten Weltkrieg führen kann, führt man eben regionale Kriege. Und was bedeutet das? Dass Waffen produziert und verkauft werden, und dadurch sanieren sich die Gleichgewichte der … großen Weltwirtschaften.

Franziskus erkennt die Zusammenhänge von Kriegen und dem derzeitigen Wirtschaftssystem (dessen glühender Anhänger Gauck ja ist), sodass er mit seiner Aussage Gaucks Argumentation ad absurdum führt und dessen wahre Interessen enttarnt: Kriege aus wirtschaftlichen Interessen zu führen und zwar so, dass Deutschland auch vorn mit dabei ist (ein Kommentar von Arno Klönne auf Telepolis geht auch recht treffend auf diesen Unterschied zwischen Franzikus und Gauck ein). Das passt auch mehr zu den sonstigen Ansichten, die man von Gauck gewohnt ist. Da es allerdings politischer Selbstmord wäre, dies eindeutig auszusprechen, wird Gauck weiter aus Gründen des Machterhalts von einem Humanismus fabulieren, der ihm selbst allerdings vollkommen fremd ist.

Ein weiterer Aspekt, der die Forcierung von Militäreinsätzen noch bedenklicher macht, als sie es ohnehin schon ist, erschloss sich mir neulich bei einem Bericht im Deutschlandfunk (kann dort sowohl angehört als auch gelesen werden, was etwas schneller geht), bei dem es um Einsätze von quasi militärischen Polizeieinheiten im Inland bzw. innerhalb von der EU geht, um beispielsweise gegen Demonstranten vorzugehen. Auch Spiegel Online berichtet darüber, dass die US-Polizei in immer stärkerem Maße mit militärischer Ausrüstung ausgestattet wird. Wenn also die Grenzen zwischen Polizei und Militär immer mehr zu verschwinden scheinen, dann kann eine gesteigerte Akzeptanz von Militäreinsätzen, so wie Gauck sie fordert, nicht nur zu Toten in irgendwelchen fernen Ländern führen, sondern auch im eigenen Land Menschenleben kosten. Ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, was Gauck mit seiner unverblümten Kriegshetze betreibt, und ich schätze ihn als schlau genug ein, genau solche Szenarien schon mit in seinen Überlegungen einbezogen zu haben.

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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