Die Sprache und ihre Gewalt

In meinem letzten Beitrag über die mangelnde Wertschätzung in dieser Gesellschaft, über die Folgen dieser Nichtbeachtung der Wertschätzung, ist mir einiges an Kritik entgegen gebracht worden. Unter anderem ist von einem „sozialpädagogischen Stuhlkreis“ gesprochen und behauptet worden, dass nur durch klare Begrifflichkeiten und Theorien der Kapitalismus überwunden werden könnte, welcher Kapitalismus auch immer damit gemeint sein sollte – ich vermute der rudimentärer der marxistischen Sichtweise. Hier möchte ich auf die Forderung nach den klaren Begrifflichkeiten antworten, später werde ich sicher auch noch auf andere Kritikpunkte eingehen. Denn Kritik ist immer gut, auch wenn man sie selbst nicht als berechtigt ansieht, sie regt zum Denken an, und darum muss es immer gehen: das Denken.

Schon Adorno wusste, was wir heutzutage immer noch negieren: die Gewalt der Sprache

Adorno schrieb über vieles, auch über die Sprache. Seine Theorie des Ästhetischen sollte hierzu dienen. Leider ist sie ob des plötzlichen Todes Adornos unvollendet geblieben. Dennoch gibt er tiefe Einblicke, gerade auch deshalb, weil er von den gängigen philosophischen Begriffen ablässt, sich der Anthropologie zuwendet, und was ist anthropologischer als die Sprache? Nicht viel.

Sprache wertet, bewertet und Sprache und ihre Worte interpretieren. Worte – und Begriffe sind nichts anderes als Worte – können nie die Wirklichkeit abbilden, jedenfalls nicht neutral und schon gar nicht in Gänze.

Sprache manipuliert, sie will in eine Richtung führen und sie soll auch in eine Richtung führen, muss es sogar. Sprache, die diesen Ansprüchen nicht gerecht wird, wäre Gelabere, sinnloses Tun, Small Talk im besten Falle, wobei auch dieser Small Talk für die, die ihn beherrschen, einen Sinn zu ergeben scheint. Mir ist der Zugang dazu allerdings immer verschlossen geblieben, vermisst habe ich dies jedoch nie.

Sprache ist anthropologisch – ich schrieb es schon -, und deshalb sind auch Begriffe, also Worte, anthropologisch zu sehen, sie unterscheiden sich, und zwar nicht nur in der Schrift und in der Aussprache, auch in ihrer Bedeutung, von Muttersprachler zu Muttersprachler. Thomas Fricke schrieb letztens einen sehr guten Artikel – Schluss mit der Schuldenschuld -, der genau diese Unterschiede für die unterschiedlichen Sichtweisen auf die gleichen Worte in der ökonomischen Praxis deutlich machte.

Thomas Fricke, und auch Theodor W. Adorno, weisen auf die Gewalt der Sprache hin, dann wenn sie zu festen Begriffen wird, wenn diese Begriffe, interpretiert, mit Wertungen versehen, unhinterfragt angewendet werden. Eben so wie von der Kritik an meinem Beitrag gefordert worden ist.

Mimesis

Adorno fordert deshalb für die Philosophie das, was er Mimesis nennt, das Umschreiben und Umkreisen dessen, was als Erkenntnis erkannt worden ist, und nicht die sofortige Bildung eines Begriffes für die Erkenntnis, die Einschränkung dieser Erkenntnis auf diese Erkenntnis allein, die nämlich aus dem Begriff dann schnell folgt. Der Gewalt, der damit jeglicher anderer Erkenntnis, aber auch dem dadurch im Denken Eingeschränkten angetan wird, kann so ein wenig entgangen werden.

Wie viel Gewalt durch die Begrifflichkeit dem Gedankenobjekt angetan wird, kann man unschwer am Begriff Kapitalismus ablesen. Gewertet, bewertet und letztendlich kaum verstanden, weil die Bewertung die tiefere Erkenntnis meist verhindert. Jean Ziegler, sehr geschätzt von mir, ist ein solcher Bewerter, der sich der weiteren Erkenntnis dadurch selbst entzieht, wie ich finde. Marxisten, die nur im marxschen Weltbild denken, entziehen sich der tieferen Erkenntnis. Aber auch die neoliberal denkenden Denker entziehen sich einer tieferen Erkenntnis, denn für sie hat der Kapitalismus längst keine Alternative mehr, weder innerhalb ihrer kapitalistischen Denkweise und schon gar nicht außerhalb. Ich werde darauf  in Kürze zurückkommen, den Kapitalismus als Begriff von seinen wertenden Begrifflichkeiten entkleiden.

Ein schwieriges Unterfangen und wenig praktikabel, zugegeben, aber doch ist diese Mimesis der Anlass für mich gewesen, mich nicht von Begriffen täuschen zu lassen, diese ständig zu hinterfragen, ob ihrer eigentlichen Bedeutung, ihrer manipulativen Kraft. Ich bin immer gut damit gefahren, habe immer Erkenntnis aus diesem Verhalten erhalten, viele Erkenntnisse, die ich umschreibe, umkreise und erst jetzt versuche, in Worte zu fassen, oft Jahre nach den eigentlichen Erkenntnissen.

Wertschätzung zu fordern ist nicht gleich einen sozialpädagogischen Stuhlkreis zu fordern

Es ist die Ablehnung der einzigen Wahrheit. Es ist die Anerkenntnis, dass auch der andere, jenseits der eigenen Theorie, recht haben könnte. Es ist die Anerkenntnis des Menschen als Menschen, in seiner ganzen Würde. Würde ohne Wertschätzung des anderen kann es gar nicht geben.

Wertschätzung ist die Grundlage jedes Kompromisses. Ohne Wertschätzung wird die Entscheidung schnell zum Diktat. Wertschätzung und Demokratie sind in einer unauflösbaren Symbiose. Wenn wir dazu einen sozialpädagogischen Stuhlkreis brauchen, um diese Erkenntnis wiederzubekommen, so bitte, dann sollten wir diesen einrichten. Ich denke nicht, dass das nötig wäre. Ein wenig gegenseitige Wertschätzung, ein wenig Kopfarbeit, ein wenig das Umkreisen dessen, was man als zu ändern erkannt hat, würde hinreichen, denke ich.

Theorien und Streit um diese Theorie, vielleicht sogar noch sich gegenseitig abwertend, bringen nichts anderes hervor als eben diesen Streit. Theorien sind wichtig, und niemand sollte ihre Wichtigkeit bestreiten – ich tue das schon gar nicht, denn ich bediene mich ja auch hier der Theorie und der Gedanken der Theoretiker -, aber mit Theorie allein und dem Streit darum allein erreicht man gar nichts, außer weiterhin auf Godot warten zu müssen. Ich werde darauf später einmal zurückkommen.

Während wir um Theorie streiten, auf Godot warten, geht die Gesellschaft weiterhin den Bach hinunter, weil die gegenseitige Wertschätzung immer geringer wird, weil sie nicht mehr Gegenstand der Gesellschaft, auch der Theorie zu sein scheint. Ein fataler Irrtum der Gesellschaft, wie ich finde, der schnellstens korrigiert werden müsste, weshalb auch die Wertschätzung im Zentrum meiner Theorie, meiner Überlegungen steht und stehen bleiben wird.

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Heinz

Jahrgang 1958, am Leben interessiert, auch an dem anderer Menschen, von Rückschlägen geprägt. Nach diversen Tätigkeiten im Außendienst für mehrere Finanzdienstleister und zuletzt als Lehrkraft auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Ökonomie und Gesellschaft, den Kapitalismus in all seinen Formen zu verstehen und seit Jahren zu erklären ist meine Motivation. Denn ich glaube, nur wer versteht, wird auch Mittel finden, die Welt zu einer besseren Welt zu machen. Leid und Elend haben ihre Ursache im Unverständnis.

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