Es gibt anscheinend solche und solche Tote …

Zwei Unglücke mit jeweils vielen Toten innerhalb von wenigen Wochen – zum einen das in den Alpen abgestürzte Flugzeug, zum anderen die ca. 400 ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer. Beide Vorfälle sind tragisch, und auch wenn die Ursachen unterschiedlich sein mögen, so ist es doch vor allem die Verschiedenartigkeit der öffentlichen und medialen Rezeption, die einen zum Nachdenken anregen sollte. Denn diese wirft kein allzu gutes Licht auf unsere heutige Gesellschaft.

Sondersendungen, Titelseiten, umfassende Berichterstattung, Spekulationen über die Unglücksursache, Liveticker zu Pressekonferenzen der französischen Staatsanwaltschaft, Trauer- und Beileidsbekundungen überall und von jedem – der Absturz der Germanwings-Maschine hat viele und starke Reaktionen hervorgerufen. Daran ist ja zunächst mal auch nichts Schlechtes, denn Empathie ist ja durchaus eine positive Sache, auch wenn sich mitunter schnell unappetitliche Sensationsgier, vor allem von Springers Schmierblatt BILD vorangetrieben befördert, daruntermischte. Das ganze Land schien mit den ca. 150 Opfern und ihren Angehörigen zu trauern. Doch wie sah das nun aus, nachdem die Tragödie im Mittelmeer bekannt wurde?

Während die deutschen Mainstream-Medien sich am Tag nach der Katastrophe nahezu geschlossen für Trainerwechsel beim BVB und HSV als Titelthemen entschieden hatten, wie Meedia berichtet, setzte lediglich die taz eine Todesanzeige für die 400 im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge auf die Titelseite. Schon interessant, was die deutschen Zeitungsmacher anscheinend als relevant und was als weniger wichtig einstufen. Und auch die Reaktionen in den sozialen Medien waren recht unterschiedlich, und das nicht nur in der Quantität, sondern vor allem auch in der Qualität. So wird da dann beispielsweise von Facebook-Usern postuliert, dass diese „Wirtschaftsflüchtlinge“ selbst schuld hätten, wenn sie sich mit Schleppern einlassen würden, und es wird sogar gefordert, doch am besten gleich auf die Flüchtlingsboote zu schießen, da die 400 Toten noch viel zu wenig sein.

Natürlich sollten einen solche Aussagen in Zeiten von Pegida, AfD und ähnlichem rechtem Gesindel nicht wundern, allerdings ist es ja auch ermutigend für derartigen Gestalten, ihrem Hass auf eine solche widerwärtige und pietätlose Weise Ausdruck zu verleihen, wenn eben generell der Eindruck entsteht: Kann ja nicht so schlimm sein, was da mit den Flüchtlingen passiert ist, wenn da nicht prominent drüber berichtet wird.

Doch nicht nur bei solchen rechten Schwachköpfen wird deutlich, dass es anscheinend unterschiedliche Arten von Toten gibt: Zunächst mal sind da die Deutschen, dann kommen ausländische Opfer von Katastrophen und Unglücken, und ganz am Ende der Skala sind dann eben die Flüchtlinge. Natürlich ist es verständlich, wenn ein Unglück in dem Land, aus dem die meisten Opfer kommen, mehr öffentliche und mediale Resonanz auslöst als in Ländern am anderen Ende der Welt, aber dieser vollkommen krasse Unterschied zwischen den beiden jetzigen Vorfällen geht da schon deutlich drüber hinaus, finde ich. Zynisch gefragt (und bitte nicht die bittere Ironie in dieser Frage übersehen): Wie viele tote Neger sind denn für die öffentliche Aufmerksamkeit so viel wert wie ein toter Deutscher?

Was hier in diesen beiden Fällen noch dazukommt: Bei dem Flugzeugunglück wurde schnell ein Schuldiger gefunden, auf den man mit dem Finger zeigen konnte: der depressive Kopilot. Dass hierbei einiges unklar bleibt, vor allem die Tatsache, dass so ein Verhalten mit derart massiver Fremdschädigung nicht gerade typisch für Depressive ist, ist egal, und da dauert es dann auch nicht lange, bis sogar ein CSU-Kasper daherkommt und (wie hier beispielsweise in der Süddeutschen Zeitung zu lesen) ernsthaft ein Berufsverbot für Depressive ins Spiel bringt.

Bei der Tragödie mit den 400 ertrunkenen Flüchtlingen wird da dann lieber nicht so genau nach den Ursachen geschaut, und Konsequenzen zu fordern ist auch nicht so populär. Denn in diesem Fall ist die eigene Nase sehr viel näher als bei dem Flugzeugabsturz: Nicht nur, dass die EU-Politik durch Beendigung des Mare-Nostrum-Programms dafür gesorgt hat, dass solchen Flüchtlingen nicht mehr geholfen werden kann und diese Menschen durch die europäische Abschottung nach Süden hin überhaupt erst in die Hände von skrupellosen Schleppern getrieben werden, unsere Verantwortung geht noch ein ganzes Stück weiter. Es stellt sich nämlich die Frage, warum diese Menschen überhaupt flüchten, also ihre Heimat, Familie und Freunde sowie ihren nahezu kompletten Besitz hinter sich lassen, um sich dann auf eine Art Himmelfahrtskommando zu begeben. Warum geht es vielen Menschen aus unterschiedlichsten Gründen in Afrika so dreckig, dass sie dieses hohe Risiko auf sich nehmen? Die Antwort ist unbequem: weil es uns hier so gut geht. Firmen aus unserem Land (und anderen EU-Ländern) betreiben in Afrika Landgrabbing, verwüsten für Rohstoffabbau ganze Landstriche, ruinieren mit hochsubventionierten Agrarprodukten die dortige kleinbäuerliche Landwirtschaft, verkaufen Waffen in diese Länder, bauen in Monokultur dort Produkte für hiesige Märkte an usw. Und wer dann nicht um Leib und Leben fürchten muss, sondern nur aus seinem Land abhaut, weil seine Existenzgrundlage vernichtet wurde, der wird auch noch von oben herab als „Wirtschaftsflüchtling“ diskreditiert – widerlicher geht es wohl kaum.

Und widerlich ist in der Tat diese Doppelmoral, die sich in diesen beiden Unglücken widerspiegelt. Daran zeigt sich nämlich, dass es tatsächlich weit verbreitet ist, Menschen sehr stark aufgrund ihrer Herkunft zu hierarchisieren – was letztlich die Grundlage jeder Form von Rassismus ist. Und dieser scheint heutzutage sehr, sehr weit verbreitet zu sein in Deutschland …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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