Zunehmende rechte Gewalt – und was macht die Polizei?

Auf Henriette Reker, eine parteilose Oberbürgermeisterkandidatin in Köln, wurde einen Tag vor der Wahl ein Mordanschlag verübt, bei dem auch noch vier weitere Menschen verletzt wurden. Der Täter ließ sich danach widerstandslos festnehmen, seine Aussagen offenbaren fremdenfeindliche Beweggründe für die Tat, zudem hat er einen rechtsradikalen Hintergrund. Dies ist nur die Spitze einer Gewalteskalation von rechts, die in den letzten Wochen zu beobachten war. Eine Frage muss dabei vor allem auch gestellt werden, wenn man zahlreiche Augenzeugenberichte berücksichtigt: Wie verhält sich die Polizei dazu?

Brennende Flüchtlingsunterkünfte gibt es in diesem Jahr fast täglich, die Zahl der Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund ist extrem in die Höhe gegangen, in Heidenau zog vor einigen Wochen eine marodierender Mob durch die Stadt und verletzte mehr als 30 Polizisten (Festnahmen gab es, bis auf einen Fotografen, meines Wissens keine) – die rechte Gewalt tritt immer unverblümter und offener zutage. Doch mittlerweile werden nicht nur Flüchtlinge oder ausländisch aussehende Menschen, in der Flüchtlingshilfe engagierte Hilfskräfte oder vermeintlich als „Linke“ erkannte Personen attackiert, auch Journalisten sind nicht mehr sicher, wie hier nach einer Pegida-Demonstration am 28. 9. aus einem Artikel der Dresdner Neusten Nachrichten hervorgeht. Hand in Hand gehen diese Übergriffe mit einer Steigerung der verbalen Aggressivität in den sozialen Medien im Internet (s. dazu exemplarisch hier) bei Veranstaltungen wie Pegida, sowohl in Form von persönlichen Beschimpfungen, wie gegen eine Schülergruppe am 21. 9. in Dresden (s. dazu hier) oder als Galgen für Angela Merkel und Sigmar Gabriel, gefolgt von Morddrohungen gegen den ermittelnden Staatsanwalt (s. hier), als auch vom Rednerpult an die Massen – gipfelnd in den gestrigen Ausfällen von Akif Pirincci, der in seiner etwa 30-minütigen Rede anlässlich der einjährigen Geburtstagsveranstaltung von Pegida doch tatsächlich vor vielen Tausend Menschen unbehelligt und unter Applaus geifern durfte, dass die KZs ja leider mittlerweile außer Betrieb seien (nachzusehen in diesem YouTube-Video ab 1:38:40).

So weit, so ungut. Nun fragt man sich allerdings auch, wie es denn dazu kommt, dass derartiges strafrechtlich relevantes Verhalten einfach so praktiziert werden kann. Klar, einem Täter wie den Angreifer von Henriette Reker, der quasi aus einer alltägliche Situation heraus unvermittelt mit einem Messer attackiert, kann man schlecht im Vorfeld adäquat begegnen, aber bei Demonstrationen ist das doch was anderes, denn dort ist ja nun ständig Polizei präsent. Warum greift diese nicht oder nur zögerlich ein, wenn Straftaten begangen werden? Dass so etwas wie der oben beschriebene Galgen auf der Pegida-Demo nicht bemerkt wurde, ist kaum anzunehmen. Zur Klärung dieser Frage mal ein paar Auszüge aus der Berichterstattung zu den rechten Übergriffen der letzten Wochen:

Der Einsatz der Dresdner Polizei rund um Pegida sorgt immer wieder für Kritik. So wird vielen Beamten eine zu große Nähe zu dem islamfeindlichen Bündnis vorgeworfen. Beamte warfen bei der „Zählaktion“ von Pegida selbst Münzen in die Tonnen oder klatschen mit Ordnern ab. Bei mehreren Pegida-Veranstaltungen wurden Hitlergrüße nicht geahndet. Zuletzt veröffentlichte Pegida-Chef Lutz Bachmann vertrauliche Informationen aus Polizei-Akten, darunter die Adresse eines Tatverdächtigen.

Auch am Montag wurden zwar Gegendemonstranten intensiv kontrolliert, dass bei Pegida die Versammlungsauflagen wie Alkoholverbot oder die maximale Länge von Fahnenstangen mehrfach missachtet wurden, interessierte die Beamten hingegen nicht. (Artikel in den Dresdner Neusten Nachrichten vom 30. 9. 2015)

„Ich habe den Eindruck, dass der Verfolgungsdruck der Polizei so gering ist, dass sich Leute ermutigt fühlen, so etwas zu tun, um dann unbehelligt in der Masse zu verschwinden.“ (DNN-Chefredakteur in einem Artikel der Dresdner Neusten Nachrichten vom 29. 9. 2015)

Ein Artikel im neuen deutschland vom 1. 10. 2015 berichtet über Ausschreitung im Rahmen einer von der AfD organisierten Demo gegen die Flüchtlingspolitik der thüringischen Landesregierung:

Am Rande eines von der Rechtspartei AfD organisierten Aufmarsches in Erfurt hat es erneut mehrere Angriffe von Rechtsradikalen auf antifaschistische Demonstranten gegeben. Wie unter anderem der stellvertretende Bezirksvorsitzende des DGB Hessen-Thüringen, Sandro Witt, berichtet, wurde bei einer Attacke auf ihn und andere der Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di in Thüringen »von diesen rechten Jägern« verletzt.

Bei dem rechten Aufmarsch seien wie schon eine Woche zuvor Hitlergrüße gezeigt worden. Auch von Angriffen auf Journalisten wurde berichtet, ein Kollege der »Thüringer Landeszeitung« twitterte, er sei »von Neonazis bedroht und verfolgt worden«. Ebenso auf Familien gingen die Rechtsradikalen offenbar los, »eine Frau mit Kind« sei »von Nazis angegriffen« worden, hieß es vor Ort. Dem »Kind wurde die Nase blutig geschlagen«.

Dutzende Menschen hätten ihm berichtet »wie viel Angst sie eben bei den Überfällen hatten und Polizisten überfordert sind mit dem Trennungsgebot«, so Witt im Sozialen Netzwerk Facebook. Nazigruppen seien durch die Stadt gelaufen, »um uns aufzumischen«, ein offenkundiger Teilnehmer der AfD-Aufmarsches habe gerufen: »Hoffentlich geht euch jetzt der Arsch ordentlich auf Grundeis.« Witt zeigte sich erschüttert von den Vorfällen, es seien auch Abgeordnete des Landtages von Rechten gejagt worden und hätten »mit panischem Blick« vor den Angreifern fliehen müssen, »während die Polizei es nicht mehr schafft, zu schützen«.

Einen Eindruck von der Stimmung vor Ort zeigt auch dieser Vorfall: Am Abend war das Stromkabel für den Verstärker der Bühne des rechten Aufmarsches zerschnitten worden, als ein Verdächtiger ergriffen wird, wird laut »Thüringer Allgemeinen« aus der Menge gerufen: »Auf die Bühne mit ihm und hinrichten.«

Die Reaktion der Polizei ist laut dem gleichen Artikel dann allerdings auch wieder sehr bezeichnend:

Die Polizei spielte die Vorgänge herunter. »Während, vor und nach der Versammlung kam es zu kleineren Auseinandersetzungen im Erfurter Süden«, wurde eine Polizeisprecherin nach dem Ende des rechten Aufmarsches zitiert.

Auch in München ist ein solche Verhalten zu beobachten, wie aus einer Pressemitteilung der Münchener Grünen hervorgeht, in der absurdes Vorgehen der Polizei gegen linke Gegendemonstranten und Jounralisten im Vergleich zu polizeilicher Passivität bei Straftaten vonseiten der rechten Demonstranten beschrieben wird. Das Fazit:

Es braucht hier dringend einen Sinneswandel! Wenn die Münchner Polizei mit selber Akribie gegen Pegida-Anhänger vorgehen würde wie gegen Gegendemonstranten wäre dabei schon viel geholfen. Vor allem aber muss dieser Verfassungsschutz auf den Prüfstand: eine Behörde die nach dem Versagen beim NSU weiterhin so blind für rechte Aktivitäten ist, gehört abgeschafft oder zumindest grundlegend reformiert.

Und auch ein Erfahrungsbericht auf der Webseite Kritischer Frieden schildert einseitiges Polizeiverhalten gegenüber Legida-Teilnehmern und Gegendemonstranten, sodass man dort zu dem Schluss kommt:

Es steht nach unzähligen Wochen als gängige Praxis bei den Legida-Aufmärschen in Leipzig außer Frage, dass die Neonazis deutlich bevorzugt behandelt werden, die Gegendemonstant_innen aber zahlreichen Schikanen ausgesetzt sind.

Dazu kommt noch eine weitere im Vergleich zu den vorherigen geschilderten Sachverhalte eher als Skurrilität zu bezeichnende Sache: Normalerweise unterscheiden sich ja bei Demonstrationen die Angaben der Veranstalter und der Polizei dementsprechend voneinander, dass Erstere höher sind als die Letzter. Für von der AfD organisierte Demonstrationen in Erfurt weist die Webseite Crowd Counting, die sich auf das Auswerten tatsächlicher Teilnehmerzahlen bei Demonstrationen spezialisiert hat, in einem Artikel (leider nicht mehr online aufrufbar) nach, dass die von etlichen Medien mit Hinweis darauf, dass diese Zahlen von der Polizei kämen, deutlich höhere Teilnehmerzahlen angegeben wurden, als tatsächlich vorhanden waren. An Zufall mag man da irgendwie nicht mehr glauben …

So ergibt sich ein m. E. leider schon recht schlüssiges Bild: Die Polizei sympathisiert anscheinend zu nicht unerheblichen Teilen mit der rechten Demonstranten. Übertrieben hartes Durchgreifen von Polizeieinheiten gegen politisch links anzusiedelnde Demonstranten hat es ja nun schon zur Genüge gegeben (S21, Blockupy, Rote Flora mal als Beispiele), sodass eine grundsätzlich aus Deeskalation setzende Polizeitaktik hier nicht als Erklärung greift. Zudem hat es ja auch schon immer wieder Übergriffe von Polizisten aus Ausländer gegeben (so zum Beispiel vor ein paar Monaten bei der Hannoveraner Bundespolizei, wo anscheinend systematisch nicht deutsche Bürger gequält wurden, s. dazu hier), die den Rückschluss zulassen, dass rechte Gesinnung bei der deutschen Polizei recht weit verbreitet ist und von nicht rechten Kollegen häufig zumindest (teilweise auch aufgrund des dort herrschende Korpsgeistes) geduldet wird. Kleine persönliche Anmerkung von mir: Einer meiner Bekannten, der seit einiger Zeit bei der Polizei ist, tendiert seitdem auch dazu, einseitige Berichte über gewalttätige Flüchtlinge und Ausländer, teilweise von eindeutig rechten Quellen wie der AfD oder dem österreichischen FPÖ-Mann Strache, bei Facebook zu posten. Ist jetzt natürlich als Einzelfall nicht repräsentativ, passt aber eben auch gut ins Bild. Genauso wie die zunehmend hetzerischen Äußerungen des Chefs der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt, der gerade in den letzten Tagen dadurch auffiel, dass er einen Zaun zur Flüchtlingsabwehr an der deutschen Grenze befürworten würde. Damit dürfte er voll auf AfD und Pegida-Linie sein …

Es muss allerdings auch erwähnt werden, dass es Widerspruch dazu aus den Reihen der Polizei gibt. So ließ  die GdP Kreisgruppe Recklinghausen auf ihrer Facebook-Präsenz am 18. 10. 2015 um 13:52 Uhr verlauten:

Rainer Wendt outet sich nun als geistiger Brandstifter. Mit seinem neuesten Statement hat er eine Linie überschritten, die ihn aus der Gemeinschaft der Gewerkschafter und Demokraten verbannt. Wir rufen ihm laut und deutlich entgegen, „Herr Wendt, wenden sie weiteren Schaden von Ihrer Organisation ab und treten sie zurück. Einen solchen Vorsitzenden haben die Mitglieder nicht verdient.“

Es wäre wünschenswert, dass derartige Äußerungen häufiger vonseiten der Polizei zu vernehmen wären, denn im Zuge immer weiter zunehmender und eskalierender Gewalt von rechts wäre eine neutral agierende und um die Sicherheit der Bürger (auch derjenigen, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben) besorgte Polizei mehr als wichtig. Ansonsten steht zu befürchten, dass bald die ersten Todesopfer des rechten Terrors zu beklagen sein werden …

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

7 Gedanken zu „Zunehmende rechte Gewalt – und was macht die Polizei?“

  1. Da es ja um die auch in diesem Artikel erwähnte Pirincci-Rede zurzeit mächtig viel Diskussion gibt, was er nun genau gesagt und gemeint haben sollte, will ich dazu auf einen Artikel von Patrick Gensing auf Publikative.org hinweisen, der sich m. E. recht treffend damit auseinandersetzt.

    Ich persönlich habe die Pirincci-Äußerung nach mehrmaligem Anhören auch so verstanden, dass er es bedauern würde, dass es keine KZs mehr gäbe. Vermutlich war dies auch genau die Intention von Pirincci, weshalb er eben so unpräzise formuliert hat. Insofern kann ich Gensings Schlussfolgerungen nur zustimmen.

  2. In einem Artikel von Publikative.org findet sich folgender Absatz, der genau zum Thema passt:

    Kritik übten die Experten auch an dem Agieren der Polizei: „Vier Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU sind wir entsetzt darüber, dass die Polizei potentiell Betroffene nicht konsequent vor rechtem Terror schützt. Betroffene berichten wiederholt von rassistischer Behandlung und mangelndem Respekt durch Polizeibeamt_innen. Das ist in einer Situation der allgegenwärtigen Gewalt und Hetze verheerend. Die Betroffenen haben einen Anspruch auf respektvollen Umgang durch die Polizei“, so eine Sprecherin des Dachverbandes.

    Anmerkung: Gemeint ist hier der Verband „Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“, der gerade in Köln tagte, was auch der Anlass für den Publikative.org-Artikel war.

  3. In Leipzig wurde einem bekannten Rechtsextremisten das Handy entwendet und mal geschaut, was und mit wem der so kommuniziert. Leider nicht überraschend, aber eine Erklärung für das nachsichtige Verhalten der Leipziger Polizei gegenüber Legida und Co. bei gleichzeitig überhartem Vorgehen gegen Gegendemonstranten: Der Typ pflegt freundschaftliche Kontakte zu einem Bereitschaftspolizisten und fordert von diesem sogar Einheiten an, wie aus einem Vice-Artikel hervorgeht.

  4. Über Rainer Wendt habe ich ja schon was in dem Artikel oben geschrieben, nun war sich der Scharfmacher nicht zu schade, dem rechten Magazin Compact von Jürgen Elsässer ein Interview zu geben, wie aus einem Artikel der Waiblinger Kreiszeitung hervorgeht. Die Polizisten, die wirklich versuchen, ihren Job korrekt zu machen, können einem bei einem derartigen Repräsentanten mit starker Medienpräsenz in der Tat leidtun, ansonsten ist die Rechtslastigkeit der Polizei wahrlich kein Wunder, wenn der Fisch derart deutlich vom Kopf her stinkt.

  5. Und weiter geht’s: Nach dem Pegida-Aufmarsch vom 21. 12. kam es laut einem Artikel im neuen deutschland zu organisierten gewalttätigen Übergriffen von Rechtsextremen auf Antifaschisten, wobei die Polizei nur zuschaute, obwohl sie mit großem Aufgebot vor Ort war. Zudem waren diese Hetzjagden zuvor sogar noch über soziale Medien angekündigt worden, sodass man hier kaum noch von einer Unachtsamkeit der Polizei, sondern von gezielter Kumpanei sprechen muss.

  6. Die Vorfälle von Clausenitz, bei denen ein rechter Mob einen Bus mit Flüchtlingen blockiert und diesem die Zufahrt zu einer Flüchtlingsunterkunft verwehrt hat, machten in den letzten Tagen ja massiv die Runde durch die (sozialen) Medien. Die Reaktion der Polizei im Rahmen einer Pressekonferenz, wie in einem Kommentar von Ruth Ciesinger für den Tagesspiegel geschildert, zeigt nun recht eindeutig, auf wessen Seite die Ordnungshüter stehen – nämlich auf der des rechten Mobs. Ein weiteres bezeichnendes Beispiel für die unerträgliche Rechtslastigkeit unserer deutschen Polizei …

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