Mehr Unfalltote auf Deutschlands Straßen

Man hatte sich jahrelang an die gute Nachricht gewöhnt: Jahr für Jahr gab es in Deutschland weniger tödlich verunglückte Personen im Straßenverkehr. Klar, die Autos wurden ja auch immer sicherer, Airbags und Assistenzsystem, die Fahrer vor gefährlichen Situationen waren, haben an dieser Entwicklung sicher ihren Anteil. Seit 2014 ist nun allerdings zu beobachten, dass sich dieser Trend leider zwar langsam, aber merklich umkehrt, denn seitdem steigen die jährlichen Verkehrstotenzahlen wieder. Woran mag das liegen?

Aggressivität

Ein gerade erschienenes Interview mit einem Fahrlehrer auf Spiegel online verortet die Ursache für diese Entwicklung in der zunehmenden Aggressivität der Autofahrer. Dies wäre auch kein Wunder, denn Aggressivität ist in unserer Konkurrenzgesellschaft eine weit verbreitete Eigenschaft, und das jeder vor allem an sich selbst zuerst denkt, das kann man auch jeden Tag beobachten – und das ist in jedem Fall keine gute Tugend für einen unfallfreien Straßenverkehr. Ein weiterer Punkt, der in dem Interview angesprochen wird, ist die höhere Unfallquote bei beruflichen Autofahrern, die aufgrund „des Termindrucks ständig zu schnell und riskant“ fahren würden. Typisch für den Spiegel natürlich, dass dann als mögliche Lösungen dieser Problematik nur angeführt wird, dass diejenigen dann halt fünf Minuten früher losfahren sollten, und Ursachen wie Arbeitsverdichtung und Konkurrenzdruck außen vor gelassen werden. Diese Faktoren dürften m. E. nämlich ausgesprochen entscheidenden Einfluss auf das Fahrverhalten der „Profis“ haben, die mit Autofahren ihr Geld verdienen.

Autonomieaufgabe

Darüber hinaus habe ich den Eindruck, dass die zahlreichen und immer mehr werdenden Fahrassistenten in neuen Autos dazu führen, dass die Fahrer in ihrer Autonomie eingeschränkt werden: Man fühlt sich sicher, denn ständig wird ja vom Auto auf einen aufgepasst, Dinge, die früher mal die Aufmerksamkeit des Fahrers benötigten, macht der Wagen nun von ganz allein. Das ist nicht nur bequem, sondern hat eben auch den Nachteil, dass man die Beherrschung seines Fahrzeugs ein Stück weit aus der Hand gibt. Und wenn man dann mal in eine ungewöhnliche Situation kommt (oder eines der Assistenzsysteme ausfällt), sodass eigenes schnelles und u. U. unkonventionelles Handeln erforderlich ist, kann es dann eben leichter zu Fehlreaktionen kommen, weil die Souveränität in der Handhabung des Fahrzeugs ein Stück weit durch die ganzen kleinen elektronischen Helfer abhandengekommen ist. Mal von den Fahrern abgesehen, die sich blind auf ihr Navi verlassen und von diesem fälschlicherweise verkehrt herum in Einbahnstraßen geschickt oder sogar in Flüsse manövriert werden. Und wenn man sich dann mal verfahren hat und das Navi keine hilfreichen Tipps mehr hat, geht die große Unsicherheit richtig los, da man ja gar nicht mehr gewohnt ist, sich allein seinen Weg zum Ziel zu suchen …

Solange es nicht so ist, dass sich alle Autos vollkommen eigenständig im Straßenverkehr bewegen, befinden wir uns also in einem Zwischenstadium, dass von einer stetigen Reduktion der Autonomie des Fahrers als handelnder, verantwortlicher Person geprägt ist. Und ob es tatsächlich mal irgendwann dazu kommt, dass Autos von allein durch die Gegend fahren, das wage ich ein wenig zu bezweifeln. Schließlich müsste irgendein Automobilbauer damit anfangen, und das Risiko, dass dann in einem Umfeld, in dem die meisten anderen nicht automatisiert fahren, etwas dabei schiefgeht, ist doch reichlich groß. Der Imageschaden bei einem tödlichen Unfall, der durch ein selbstständig allein fahrendes Auto verursacht wurde, dürfte so enorm sein, dass kein Hersteller dieses Wagnis eingehen dürfte.

Neben der schon angesprochenen Senkung der Fahrsouveränität hat die automationsbedingte rückgängige Autonomie des Fahrers noch eine andere Folge, nämlich die der

Ablenkung

Anzeigen und Displays, wohin man nur schaut, die einen darüber informieren, welcher Song zurzeit gespielt wird, wie lange man noch bis zum Ziel braucht, wie viel Benzin durchschnittlich momentan verbraucht wird, wie man noch sparsamer fahren könnte und wer uns gerade anruft – ein Autofahrer ist heute mit viel mehr Sachen als nur dem Straßenverkehr beschäftigt. So hilfreich all diese Dinge im Einzelnen sein können, so groß ist doch die dadurch verursachte Ablenkung, wenn man diese in ihrer Gesamtheit betrachtet. Gemeinsam mit den zuvor erwähnten Assistenzsystemen, die vermeintliche vollständige Sicherheit suggerieren, wird da das Geschehen vor dem Auto schnell mal zur Nebensache.

Und dann kommt ja noch die größte Ablenkungsquelle hinzu: das Smartphone. Klar, viele Fahrer nutzen das vorschriftsmäßig nur über die Freisprecheinrichtung, aber man braucht ja nur mal, wenn man selbst mit dem Auto unterwegs ist, an der Ampel in die neben einem stehenden Autos schauen, schon sieht man doch sehr viele Fahrer, die damit beschäftigt sind, irgendwas auf ihrem Smartphone zu lesen oder zu tippen (über die Gefährlichkeit dieses Verhaltens hat vor einiger Zeit schon der ADAC berichtet). Und das machen die eben auch dann, wenn sie wieder am Fahren sind – selbst bei einem Motorradfahrer konnte ich das schon beobachten, und ich bin auch bereits das eine oder andere Mal nur durch eine schnelle eigene Reaktion nicht von einem Auto umgefahren worden, dessen Fahrer sich mehr für seine Smartphone-Inhalte als für die gerade Rot zeigende Ampel interessierte.

Und natürlich sind nicht nur die Autofahrer in zunehmenden Maße durch ihre Smartphones abgelenkt, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Radfahrer – was ein zusätzliches Gefahrenpotenzial durch Unaufmerksamkeit birgt. Wenn ich also von Verkehrsunfällen lese, bei denen Menschen unerklärlicherweise unvermittelt auf eine vierspurige Straße direkt vor ein Auto gelaufen sind oder ein Fahrzeug auf vollkommen gerader Strecke bei unproblematischem Wetter von der Straße abgekommen und gegen einen Baum geknallt ist, dann vermute ich da häufig das Smartphone als Ablenkungsursache. Achtet mal drauf, von solchen Unfällen mit häufig tödlichem Ausgang liest man reichlich oft.

Fazit

Es kommen also drei Dinge zusammen, die für mich die steigenden Zahlen bei den Verkehrstoten in den letzten Jahren erklären: ein Zeitgeist, der aggressives und egoistisches Verhalten befördert, sowie eine zunehmende Arbeitsverdichtung bei Berufskraftfahrern (mit allen negativen Auswirkungen wie Stress, Zeitdruck usw.) – und das Ganze dann noch gepaart mit technischen Entwicklungen, die den Autofahrer ablenken, seine Autonomie einschränken und ihn sich vermeintlich übersicher fühlen lassen. Eine fatale Kombination, deren Auswirkungen allerdings nur schwer umzukehren sein dürften, zumal wenn man unsere Tendenz, Probleme immer nur auf eine technokratische Weise zu lösen, berücksichtigt. Solange kann man nur seine eigene Aufmerksamkeit steigern und eben für andere Verkehrsteilnehmer mitdenken.

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

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