Was ist denn da bloß in Dessau los?

Die Polizei in Dessau ist ja in den letzten Wochen vermehrt in den Schlagzeilen gewesen, da es zum Tod von Oury Jalloh im örtlichen Polizeirevier vor mittlerweile zwölf Jahren neue Ermittlungsergebnisse gegeben hat, die auf einen Mord statt, wie bisher immer behauptet, eine Selbsttötung hinweisen (s. dazu diesen Monitor-Beitrag). Was kritische Stimmen schon seit Jahren als Vermutung äußern, scheint nun also Gewissheit zu sein: Jalloh wurde in Polizeigewahrsam mit Brandbeschleuniger überschüttet und angezündet, wobei er zu diesem Zeitpunkt bewusstlos oder bereits tot gewesen sein dürfte. Was schon an sich ein Polizeiskandal sondergleichen ist, wird noch brisanter, wenn man ein paar andere Dinge, die in Dessau in den letzten Jahren so geschehen sind, mit hinzunimmt. Das Gesamtbild, was sich so ergibt, ist erschreckend!

Doch zunächst einmal zu Jallohs Tod: Wer meint, dass nun durch die konkret geäußerten Anschuldigungen des ermittelnden Oberstaatsanwalts Folker Bittmann, dass Jalloh eben seiner Ansicht nach ermordet wurde, die Suche nach den möglichen Tätern beginnt, sieht sich getäuscht. Das Verfahren wurde an die Staatsanwaltschaft Halle übergeben, die es dann eingestellt hat. Unterstützung kam dafür vonseiten der CDU und AfD im sachsen-anhaltischen Landtag, und auch die Justizministerin des Landes Anne-Marie Keding (CDU) hält es nicht für nötig, sich diesbezüglich zu äußern und eine entsprechende Weisung an die Staatsanwaltschaft Halle zu erlassen.

Aber klar: Es geht ja auch nur um einen Asylbewerber aus Afrika, und da haben weder rechte Parteien noch eine rechtslastige Justiz und Polizei ein Interesse, hier zu eventuell die eigenen Leute belastenden Ergebnissen zu kommen.

Dabei war Jalloh nicht das erste Todesopfer in der Dessauer Polizeistation, wie ein Artikel in der Berliner Zeitung berichtet:

1997 war ein Mann nach einem Polizeigewahrsam an schweren inneren Verletzungen gestorben.

2002 kam in der gleichen Zelle wie später Jalloh ein  Obdachloser ums Leben. In beiden Fällen hatte es auch Ermittlungen gegen Polizeibeamte gegeben.

Diese weiteren Todesfälle führten bei Oberstaatsanwalt Bittmann nun zu der Vermutung, dass diesbezügliche weitere Ermittlungen vermieden werden sollten, nachdem Jalloh von Polizisten übel zugerichtet oder eventuell sogar getötet worden ist. Es musste also eine Selbsttötung her, auch wenn diese hanebüchen konstruiert ist (sich mit fixierten Händen und Füßen auf einer feuerfesten Matratze selbst anzuzünden dürfte wohl niemandem gelingen). Und bei einem afrikanischen Asylbewerber sind ja auch keine Hinterbliebenen zu erwarten, die eventuell hartnäckigen Nachforschungen in die Wege leiten und unangenehme Fragen stellen könnten.

Und dann kommt da noch ein Aspekt hinzu, auf den Mely Kiyak in einem sehr lesenswerten Kolumnenbeitrag auf Zeit Online zum Fall Jalloh hinweist und der ja auch schon beispielsweise bei den Ermittlungen im NSU-Komplex, die ja zunächst unter dem Begriff „Döner-Morde“ liefen, zu erkennen war: Das deutsche Rechtssystem hat eine Tendenz, einen Nichtdeutschen erst mal eher als Täter denn als Opfer zu sehen. Und ihr ist dabei zuzustimmen, dass diesbezüglich unser Rechtsstaat, gerade auch aufgrund der Rezeption derartiger Vorgänge in Medien und Öffentlichkeit, ein ziemlich großes Problem hat.

Aber in Dessau kommt noch dicker, denn im Jahr 2016 gab es dort den Fall einer bestialisch vergewaltigten und ermordeten chinesischen Studentin, und auch hierbei gibt es unrühmliche polizeiliche Verwicklungen. Schon ein Artikel in der Zeit vom Juni 2016 wies auf merkwürdige Ungereimtheiten bei den Ermittlungen hin: Der Täter war nämlich der Sohn von einer Dessauer Polizistin, sein Stiefvater war sogar Leiter des Desauer Polizeireviers  – und es sieht ganz so aus, als hätten beide versucht, Spuren zu verwischen und die Ermittlungen so zu beeinflussen, dass ihr (Stief-)Sohn nicht verdächtig würde.

Auch Oberstaatsanwalt Folker Bittmann gab keine allzu glückliche Figur ab, als er die Aussage des Tatverdächtigen in einer Pressekonferenz einfach so wiedergab, als würde es sich dabei um eine Tatsache handeln. Das ist im besten Fall unprofessionell, im schlechtesten Fall einseitige Parteinahme für den Polizistenspross und damit auch für dessen Eltern. Wenn also jemand wie Bittmann, der durch solches Agieren nicht gerade als besonders polizeikritisch aufgefallen ist, nun selbst zu dem Schluss kommt, dass Oury Jalloh nicht durch Selbsttötung, sondern durch Dritte ums Leben kam, dann könnte da ja vielleicht schon was dran sein, oder?

Nimmt man nun diese Ereignisse mal zusammen, dann ergibt sich ein wahrhaft gruseliges Bild: In Dessau kamen in Polizeigewahrsam in den letzten 20 Jahren mindestens drei Menschen zu Tode, bei einem weiteren Mord haben Polizisten den Täter aus ihrem eigenen familiären Umfeld zu schützen versucht. Ermittlungen werden jedoch eher halbherzig geführt, eventuelle strukturelle Probleme bei der Polizei Dessau werden erst gar nicht untersucht. Rückendeckung gibt es dabei nicht nur vonseiten der Justiz, sondern auch von rechten Parteien im Landtag, nämlich der CDU und der AfD, die ebenfalls nicht an einer Aufklärung dieses Gesamtkomplexes, als den man die Geschehnisse wohl sehen muss, interessiert sind.

Bleibt die abschließende Frage, wie ein solches gemeinsames Vorgehen von Polizei, Justiz und Politik noch mit rechtsstaatlichen Prinzipien zusammenzubringen sein soll. Diese scheinen in Dessau zumindest mitunter komplett außer Kraft gesetzt zu sein.

Print Friendly, PDF & Email

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Ein Gedanke zu „Was ist denn da bloß in Dessau los?“

Schreibe einen Kommentar