Vielleicht sollten wir den Herren und Damen in den Türmen der Macht Kerzen schenken

Maaßen, Chemnitz, Hambacher Forst, die Demonstrationen für das Wohnen in München, die drohenden Fahrverbote für Diesel in den Großstädten und vieles mehr, was die letzten Tage und Wochen die Gemüter bewegte und erregte, sind nichts mehr und nichts weniger als Symbole für eine völlig verfehlte Politik der letzten 20 Jahre. C. G. Jung lässt grüßen.

20 Jahre neoliberale Politik in Deutschland, erst durch SPD und Grüne, Erstere mit ihrem Dritten Weg und der Neuen Mitte, dann durch die Union gemeinsam mit der SPD und einmal mit der FDP, haben nichts anderes gebracht als ein in sich völlig zerrissenes Land, eine zerstrittene Gesellschaft, ein unglaublich hohes Aggressionspotenzial, ja auch schon Aggressionsverhalten, meist verbal, viel zu oft auch schon körperlich.

Ja, wir haben einen exorbitanten Außenhandelsüberschuss, ein nie da gewesenes BIP, aber auch übergroße Ungleichheit der Menschen im Lande und ein zerrüttetes Europa. Ja, wir haben noch nie so viele Menschen in Arbeit gehabt, wie derzeit in der Bundesrepublik, aber auch noch nie so viele Menschen, die von ihrer Arbeit nicht leben können, die zum Überleben auf staatliche Subventionen angewiesen sind, den Gang zum Amt gehen müssen, sich dort oft wie Untermenschen behandeln lassen müssen. Wir beklagen Notstände in den Schulen, bei der Bildung und der Ausbildung, bei der Pflege, beim Wohnen, bei der Rente, beklagen, dass wir etwa drei Millionen Kinder haben, die von Armut bedroht sind oder in Armut schon leben, gemeinsam mit ihren Eltern, beklagen sogar nicht mehr wegzudiskutierende Obdachlosigkeit. Wir wissen um eine marode Infrastruktur bei Bahn und Autobahnen, Brücken, die lange schon ihren Zenit überschritten haben, Regionen, die von wichtigen Infrastrukturprojekten abgehängt sind, deren Bevölkerung auch deshalb überaltert mit den daraus folgenden gesellschaftlichen Verwerfungen, während gleichzeitig Prestigeobjekte wie die Elbphilharmonie oder Stuttgart 21 oder der ewige Berliner Flughafen im finanziellen Chaos zu versinken drohten bzw. drohen. Das, und eigentlich noch mehr, sind die Ergebnisse einer völlig verfehlten Politik dieser vier Parteien im Bund und in den Ländern und auch in den Kommunen. Mein Fazit: Die Krise hat längst die Mitte der Gesellschaft erreicht und auch erfasst und hält sie fest umklammert!

Ich behaupte: Hier liegen die eigentlichen Ursachen für die zunehmende Macht der AfD. Denn diese als Protestpartei gegen den Euro entstandene Partei hat sich längst aufgeschwungen, die Themen zu setzen. Nicht die richtigen Themen, denn dazu fehlt es dieser Partei an Kompetenz, aber sie hat die Wut, die Enttäuschungen, die Ängste, die Existenzängste vor allem, auffangen können, die die anderen vier Parteien geschaffen hatten und auf ihr Thema, die Flüchtlinge, kanalisieren können. Sie ist sehr stark geworden, nicht nur in Sachsen, nicht nur im Osten, auch im reichen Süden hat sie eine Stärke erreicht, die uns Sorgen bereiten sollte. Und sie wird stärker, gerade durch die Politik in Berlin und in den Hauptstädten der Länder wird sie stärker werden, der Maaßen-Kompromiss, die Willkür der Staatsmacht im Hambacher Forst, Wohnungsnot und Existenzängste machen sie stärker.

Nur weil die Parteien der neoliberalen großen Koalition von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen das immer noch nicht sehen wollen, wird die AfD nur umso stärker werden. Maaßen, Hambacher Forst sind Symbole einer völlig desolaten GroKo, aber auch eines gescheiterten Modells der Wirtschaft und der Gesellschaft, welches die beiden derzeitigen Oppositionsparteien FDP und Grüne mitgetragen haben und meines Erachtens, auch im Falle der Grünen, immer noch mittragen. Leider sehe ich bei keiner dieser vier Parteien auch nur ein wenig Einsicht in ihre falsche Politik, eher das Gegenteil sehe ich. Immer noch geht Sparen vor Investieren, gehen Konzerninteressen vor Natur und Mensch, werden deshalb faule Kompromisse geschlossen, wie in Hessen ganz aktuell, wo die grüne Umweltministerin gegen die Fahrverbote in Frankfurt Widerspruch einzulegen gedenkt, wird auf alte Geschäftsmodelle gesetzt, anstatt die Moderne für uns gewinnen zu wollen. Immer noch wird auf Markt und Privatisierung gesetzt, wie der Wohnungsgipfel beispielsweise zeigt, der längst einen Alternativgipfel nach sich gezogen hat, weil die Sozialverbände, der Mieterschutz und der DGB sich dieses Elend nicht länger anzuschauen gedenken, welches diese GroKo derzeit und schon lange fabriziert.

Die Kohlekommission, gestorben eigentlich, kann sich nicht einmal auf ein gemeinsames Ausstiegsdatum einigen, RWE ist selbst 2038 zu früh. Welch ein Armutszeugnis der Politik, wenn ein einzelner Konzern so viel Macht hat.

Die Rentenkommission, von „Experten“ des Neoliberalismus überquellend, ist eine Farce, weil die Antworten doch schon feststehen, die Private Versicherung es richten soll, der Markt soll es wieder richten, die gesetzliche Rente wird eben nicht mehr zum Leben, höchstens noch zum Überleben reichen. Betriebliche Altersversorgung für die, die noch über Arbeit verfügen, das Glück haben der Industrie dienen zu können, wird die Gewerkschaften ruhig stellen, auch wenn längst klar ist, dass auch die dort gegebenen Versprechen nicht gehalten werden können. Selbst Scholzens Vorschlag die Rentenarmut dauerhafter als bisher geplant zu verfestigen, geht den „Experten“ in Politik und Wirtschaft noch nicht weit genug nach unten, ist doch längst vom Tisch. Der Gürtel der zukünftigen Alten soll noch enger geschnallt werden, damit die glücklichen Alten unserer Tage, wenn sie denn Glück gehabt hatten im Leben, weiterhin nicht auf ihre Kreuzfahrt verzichten müssen, die Vermögen und Erbschaften weiterhin unangetastet bleiben können, die hohen Einkünfte weiterhin geschont bleiben können. Die Last für die Alten zu sorgen wird weiterhin nicht die Aufgabe der Gesellschaft sein, viel zu viele, nicht nur die Beamten, werden  sich dieser Last weiterhin entledigen können, sich weiter davor drücken können, nicht zuletzt auch die Berufsparlamentarier, welche über Wohl und Wehe der neuen, wie der alten Alten entscheiden.

Die Pflege, schon zu Beginn der GroKo als Farce zu erkennen, soll über einen Braindrain anderer europäischer Staaten gelöst werden, so als ob diese Menschen keine Probleme mit Alten und Kranken hätten, als ob sie dort nicht gebraucht werden würden. Egal, Hauptsache billig, Hauptsache die Investitionen halten sich in Grenzen – geht ja nicht ums Militär, denn da ist immer genug Geld da, wenn es gebraucht wird -, es geht ja nur um Menschen. Was für eine Farce, welche die Politik hier spielt, mit uns meint spielen zu dürfen. Moliere hätte sie nicht besser schreiben können.

Das Gesundheitswesen, ein Skandal jagt den nächsten, ob bei Organspenden oder Pflege, ob durch fehlende und überarbeitete Ärzte, Notaufnahmen, die sich nun rechnen müssen, um nicht der Sparwut auch noch zum Opfer zu fallen, und auch hier wieder Braindrain schon seit Jahren, bei gleichzeitig viel zu wenigen Studienplätzen für die vielen Bewerber und Bewerberinnen, einem unsinnigen, nur der Sparwut der Politik noch dienenden Numerus clausus. Kassenärztliche Zulassung über willkürliche Quoten, die wohl eher witzig gemeint sind, möchte man meinen, wenn es nicht so ernst wäre, was hier durch Verwaltungen uns oft angetan wird. Hier nur ein Beispiel: zu wenig Kinderärzte in Bremen-Nord. Regionen, die zukünftig wohl ganz ohne Ärzte auskommen müssen, mit dem Internet versorgt werden sollen. Internet, Neuland, immer noch in Deutschland, gerade in der durch Ärzte unterversorgten Fläche.

Oder der Wohnungsgipfel, der am Freitag stattfinden soll, aber wo heute schon die Ergebnisse festzustehen scheinen, werden sie doch schon lanciert, und dass wohl als einziges Ergebnis mehr Steuersubventionen für die herauskommen werden, die diese Wohnungen privat bauen sollen. Wer anderes erwartet, wird enttäuscht werden. Wieder ist es der Markt, immer ist es der Markt, der die Arbeit der Politiker machen soll, der gleiche Markt, der es bisher nicht geschafft hatte und nun weitere Vergünstigungen bekommt, um es endlich mal zu schaffen. Und ich sage voraus, nicht viel wird dabei für die Menschen herauskommen. Nur die Wirtschaft will es so, und was die Wirtschaft will, dass bekommt sie.

Nur wer ist die Wirtschaft? Der BDI, die private Assekuranz, die Banken, die Mächtigen der Wirtschaft eben. Der kleine Gewerbetreibende ist lange schon nicht mehr Teil dieser Allianz, auch wenn es die meisten von ihnen wohl immer noch denken werden.

Das Klima, die Menschen interessieren nicht mehr, sind Kollateralschäden und haben sich gefälligst zu fügen. Realpolitik ist eben so oder wie die Stones immer noch singen: You can’t always get want you want.

Gewerkschaftliche, grüne und sozialdemokratische Bescheidenheit hat uns hierhin geführt, führt uns weiter in diese Richtung. Rote Linien zu ziehen hatte man vergessen, wollte man wohl auch gar nicht ziehen. Warum auch? Es ging doch so lange gut, die Mandate waren und sind doch gut bezahlt, und an den Tafeln der Mächtigen ist auch besser speisen als dort, wie Gabriel es einmal nannte, wo es stinkt. Kapitalismus-Unverständnis par excellence diagnostiziere ich bei den einst linken Bewegungsparteien und den Gewerkschaften, welcher sie zum Stillstand, zum Stillhalten derzeit veranlasst. Kein Wunder, dass sich immer mehr Menschen von ihnen abwenden, auch wenn die Mehrheit noch immer zu ihnen zu stehen scheint. Wohl bemerkt noch, denn wie lange noch, das wird die entscheidende Frage der nächsten Jahre, vielleicht auch nur Monate, sein.

Die AfD – eine Partei des Manchesterkapitalismus, was für ein Paradox – wird deshalb stärker werden, nicht schwächer, sie wird weiter die Themen setzen, und eine lame duck von Kanzlerin, eine völlig überforderte Andrea Nahles und der schlechteste Innenminister  aller Zeiten, gemeinsam mit seinem neuen Staatssekretär, werden zusammen mit dem unfähigsten Finanzminister, den die SPD je gestellt hat, weiterhin ihren Teil dazu beitragen, dass dieser Trend sich auch nicht umkehren wird. Die Ökonomen des Mainstreams, die Politologen des staatstragenden Gedankens werden ihren Teil dazu beitragen. Die zerstrittene Linke wird sich weiterhin an Wagenknecht und Lafontaine abarbeiten, ihrer angeblichen Fremdenfeindlichkeit, anstatt ein Gegenkonzept zu entwickeln und zur Alternative zu machen. Mehr als das Moral- und Wertegezetere der Grünen werden wir weiterhin nicht erleben – auch weil sie derzeit davon (noch) profitieren können -, währenddessen neoliberale Fakten geschaffen werden, wie im Hambacher Forst gerade. Der Trend pro AfD, pro Rechts und Rechtsaußen, wird fortgesetzt werden, in Bayern und Hessen in diesem Jahr und im Osten der Republik im nächsten Jahr überdeutlich werden. Man will oder kann nicht lernen aus den eigenen Fehler, das ist der eigentliche Hintergrund für das Erstarken von Rechts. Man wird es wieder, stur wie sie sind, kleinzureden versuchen, intellektuelle Haarspaltereien betreiben, um ja nicht auf den Punkt kommen zu müssen. Man hat Brecht immer noch nicht begriffen in den elitären Türmen der Macht:

„Denn die einen sind im Dunklen und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte. Die im Dunklen sieht man nicht.“

Vielleicht sollten wir den Herren und Damen in den Türmen der Macht Kerzen schenken, vielleicht ginge ihnen dann mal ein Licht auf, dass man die im Dunklen nicht vergessen darf, sie nicht moralisch abwerten darf, schon gar nicht als Kollateralschäden zu behandeln hätte, nur um die Wirtschaft nicht zu sehr zu belasten, um diesem Mythos von einer den Menschen wohlgesinnten Wirtschaft, denn mehr ist es nicht als ein Mythos, weiter hinterherlaufen zu können, den lange schon hier herrschenden kalten Kapitalismus immer noch als soziale Marktwirtschaft „verkaufen“ zu können. Vielleicht würden sie dann auch erkennen, dass auch Wirtschaft anders, besser ginge als das, was sie derzeit unter guter Wirtschaft verstehen. Dass Wirtschaft nämlich Teil der Gesellschaft zu sein hat, dieser zu dienen hätte und nicht die Gesellschaft der Wirtschaft zu dienen hat, wie derzeit.

Vielleicht hilft dieser wichtige Film über Wackersdorf, der gerade in die Kinos kommt, dabei ein wenig, die Menschen zu erinnern, wozu sie fähig sind, wenn sie es nur mit Mut und Durchhaltewillen versuchen. Ich kann es nur hoffen, denn die AfD ist keine Alternative zu der großen GroKo der letzten 20 Jahre, ein ähnlicher Widerstand, wie einst in Wackersdorf, wäre eine solche Alternative jedoch schon, könnte die Parteien zwingen, wieder zu lernen, sich zu besinnen. Wie gesagt, ich kann es nur hoffen, und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Wie dem auch sei, the times they are a changing and we shall overcome.

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Heinz

Jahrgang 1958, am Leben interessiert, auch an dem anderer Menschen, von Rückschlägen geprägt. Nach diversen Tätigkeiten im Außendienst für mehrere Finanzdienstleister und zuletzt als Lehrkraft auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Ökonomie und Gesellschaft, den Kapitalismus in all seinen Formen zu verstehen und seit Jahren zu erklären ist meine Motivation. Denn ich glaube, nur wer versteht, wird auch Mittel finden, die Welt zu einer besseren Welt zu machen. Leid und Elend haben ihre Ursache im Unverständnis.

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