Der Tod der Vorfreude

Weihnachten ist ja eine Zeit, die auch dadurch geprägt ist, dass es zuvor einiges an Vorfreude auf das große Fest gibt, die durch die Adventszeit mit all ihren Zutaten (Kalender, Kranz usw.) zudem gut genährt wird. Und ich finde ja auch, dass an dem alten Spruch „Vorfreude ist die schönste Freude“ durchaus was dran ist, denn so schön spontane freudige Momente sind, das Erwarten eines herbeigesehnten Ereignisses ist doch noch mal eine besondere Art, Glück zu empfinden. Umso mehr empfinde ich es als Verlust, dass Vorfreude weitestgehend am Aussterben ist in unserer heutigen Gesellschaft.

Um sich das zu verdeutlichen, muss man sich nur mal anschauen, wie sich unser Konsumverhalten heute geändert hat. Als Beispiel dafür mal die Art und Weise, wie  heute von vielen neue Musik erworben wird im Vergleich zur Zeit von vor einigen Jahren.

Ich erinnere mich noch zu gut daran, wie ich als Jugendlicher Geld zusammengespart habe, um mir eine LP (CDs waren damals noch nicht verbreitet) kaufen zu können. Wenn ich dann genug zusammenhatte, bin ich in die Stadt gefahren, habe dort den Schallplattenladen aufgesucht, das Objekt der Begierde rausgesucht und erworben. Auf der Rückfahrt mit Bus und Bahnen wurde schon mal das Cover studiert, eventuell auch gelesen, was auf der Innenhülle so alles stand, und zu Hause angekommen wurde dann fast schon feierlich die LP auf den Plattenspieler gelegt und der Musik gelauscht. Es war oft genug für mich ein fast schon feierlicher Moment, wenn sich die Nadel langsam auf das Vinyl senkte, die ersten Töne erklangen und so die freudige Anspannung gelöst wurde.

In dem Moment entlud sich dann quasi die gesamte Vorfreude und steigerte den Genuss des Anhörens sowie die bewusste Auseinandersetzung mit dem, was mir da aus den Boxen entgegentönte.

Wie anders gestaltet sich das heutzutage, wo gerade Jugendliche vor allem über Streaming-Dienste Musik hören: Wenn man da dann etwas hören möchte, ist es in der Regel augenblicklich verfügbar, sodass Vorfreude im Grunde schon rein zeitlich gesehen gar nicht aufkommen kann.

Und das ist auch ein generell übertragbares Muster: Auf Dinge, die immer präsent und dadurch auch selbstverständlich sind, freut sich niemand. Vielmehr ist es sogar dann eher so, dass im Fall, dass einmal etwas nicht sofort verfügbar ist, Frustration und Enttäuschung folgen.

Gerade für Kinder hat das entscheidende Auswirkungen darauf, wie sie die Welt wahrnehmen und erfahren: Für mich war es als Kind etwas Besonderes, wenn man mal irgendwo war und dort ein Eis bekam, sodass die Ankündigung dessen schon mit viel Vorfreude verbunden war. Heutzutage ist alles wesentlich konsumorientierter, und Kinder bekommen oft ständig und überall Eis oder anderen Zuckerkram gekauft. Resultat: Kaum ein Kind sieht das noch als etwas Besonderes und wird bei der Ankündigung „Wenn wir dort sind, gibt es auch ein Eis“ nun große Vorfreude entwickeln. Vielmehr ist, so zumindest meine Beobachtung, eher die „Du kriegst jetzt mal nicht noch was“-Frustration wesentlich ausgeprägter.

Resultat: mehr unglückliche, weil frustrierte statt glücklicher, weil fröhlich-vorfreudiger Kinder. Eine Entwicklung, auf die ich schon mal vor einigen Jahren in einem Artikel hingewiesen habe, die dazu führt, dass Kinder eben so vor allem zu Konsumenten erzogen werden. Oder um es mal mit Gerald Hüthers Worten in dem im Artikel verlinkten Video zusammenzufassen: „Wer glücklich ist, kauft nicht.“

Und hierfür finden sich viele Beispiele von eigentlich freudigen Ereignissen, die aufgrund ihres inflationären Vorkommens jede Besonderheit und damit auch jeden Anlass zur Vorfreude verloren haben. Feuerwerke zum Beispiel, die es mittlerweile andauernd bei irgendwelchen Events gibt, sodass sie nichts Besonderes mehr darstellen. Oder auch die Tendenz, alles zu einem Event aufzublasen (s. dazu hier), sodass tatsächlich mal besondere Anlässe in dieser Masse dann komplett untergehen (und so auch keine Vorfreude darauf entstehen kann).

Was noch hinzukommt: Vorfreude ist positiv besetztes Warten, sodass das nicht nur negativ wahrgenommen wird. Es steigert somit die Geduld und auch die Frustrationstoleranz, wenn es mal nicht gleich so schnell weitergeht. Durch die Erfahrung, dass Warten auch eine eigene Qualität haben kann und das, worauf man wartet, dadurch sogar im eigenen Empfinden verbessern kann, wird die Aussicht, auf etwas warten zu müssen, nicht gleich automatisch mit negativen Emotionen in Verbindung gebracht.

Doch ist das natürlich nicht im Sinne des Wachstumsdogmas, das Zeit, in der nicht konsumiert wird, als fürs System vertane Zeit abtut. To-go-Produkte (auch wahre Vorfreude-Killer) und Smartphones haben nun ja in den letzten Jahren auch einen nicht unerheblichen Teil dazu beigetragen, die Zeiten des Nichtskonsumierens zu reduzieren.

Und um nun den Kreis zum Anfang des Artikels zu schließen: Diese umfassende Kommerzialisierung hat letztlich auch die Vorfreude auf Weihnachten m. E. schon ziemlich unterminiert. Man scherzt ja gern darüber, wenn man bereits Anfang September bei 25 Grad Außentemperatur Schoko-Weihnachtsmänner in den Supermarktregalen sieht, für Kinder tötet das den Zauber der Vorweihnachtszeit allerdings ziemlich ab, da es diese auf einen für sie kaum übersehbaren Zeitraum ausdehnt. „Mama, wie oft noch schlafen, bis Weihnachten ist?“ – „Noch mehr als 100 Mal …“ Also länger, als der gerade sich dem Ende neigende gesamte Sommer gewesen ist. Puh …

Früher war mit Sicherheit nicht alles besser, allerdings gibt es eben bestimmte gesellschaftliche und auch technische Entwicklungen, die elementare Lebensqualitäten (und zu denen zähle ich die Vorfreude nun mal) deutlich einschränken, wenn nicht sogar beseitigen. Gerade in der immer noch von Traditionen durchzogenen Weihnachtszeit sollte man vielleicht mal über solche Tendenzen nachdenken und sich überlegen, ob das denn alles so das eigene Leben und das seiner Mitmenschen bereichert oder nicht.

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Ein Gedanke zu „Der Tod der Vorfreude“

  1. Wie Recht du doch hast, Karl!

    Die Dinge haben an Wert verloren, seit sie ohne großen Zeitverlust zu haben sind, oft viel zu billig zu haben sind, das neue Ding schon alt ist nach wenigen Stunden, ein neues Ding her muss, um ein neues Bedürfnis zu befriedigen. Vorfreude, aber auch längere Freude an dem angeschafften Ding sind so nicht möglich, ein permanentes Unzufriedenheitsgefühl stellt sich ein, nicht nur bei Kindern.

    Und genau dieses permanente Unzufriedenheitsgefühl braucht dieses System der Märkte, schaffen sich doch so zu einem bedeutenden Teil erst diese Märkte. Was einst latent war, muss nun tatsächlich werden, Bedürfnisse werden zum Bedarf, Bedarf zur Selbstverständlichkeit. Wie aus dieser Spirale herauskommen, das ist die Frage, die sich jeder, den dies stört stellen sollte, den sich wohl auch die Gesellschaft zu stellen hätte. Denn es nur zu beklagen, es dann selbst doch zu tun, weil mein Bedarf ein echtes Bedürfnis darstellt, der andere nur Bedarf für sich in Anspruch nehmen darf, Bedarf, den man dann auch noch in Zweifel ziehen darf, dass ist scheinheilig und von Scheinheiligkeit ist doch längst auch dieses Weihnachfest, wie eigentlich diese ganze Gesellschaft hier getragen.

    Ich glaube, erst wenn wir wieder über Bedürfnisse reden und nicht gleich den Bedarf mit definieren, wenn wir Bedarf und Bedürfnis wieder trennen können, wird sich vielleicht auch wieder mehr Freude einstellen können, kann wieder mehr Zufriedenheit geschaffen werden.

    Solange jedoch jede Konsummöglichkeit als Bedarf definiert wird und mit einem Bedürfnis, ohne wirklich hinter die Bedürfnisse zu schauen, gleichgesetzt wird, wird sich wohl nicht viel in der Masse ändern können. Mir gelingt dies allerdings, weshalb ich ziemlich immun geworden bin, was dieses Konsumfest und andere angeht. Und es ist nicht einmal schwer gewesen, anders zu denken und dann zu handeln. Es hat nur ein wenig der kleinen grauen Zellen bedurft und des Widerstands gegen das eigene Umfeld. Denn dass ist doch auch Ausdruck der Scheinheiligkeit unserer Tage, dass nämlich alle es beklagen, aber wenn es ans Ändern geht, dann sind die, die sich und ihr Verhalten ändern, eher die Außenseiter am Ende des Tages.

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