Das Kapern von Begriffen – heute: die Werteunion

Es ist ja eine Eigenschaft der Marktradikalen, dass sie sich eigentlich progressive Begriffe kapern und diesen dann eine neue Bedeutung verpassen. So kann man sich ein menschenfreundliches Image geben, indem man auf Dinge verweist, gegen die ja eigentlich niemand etwas haben kann. Zum Beispiel der Begriff „Freiheit“. Kaum etwas ist so pervertiert worden in den letzten Jahrzehnten, vor allem vorangetrieben von der FDP, sodass beim Nennen des Begriffs mittlerweile automatisch so etwas wie „das Recht des Stärkeren“ mitschwingt – und nicht Freiheit auch gerade als Schutz des Schwächeren verstanden wird. Auch, was mittlerweile unter „Reform“ verstanden wird, ist nicht mehr der progressive Wandel, für den der Begriff mal stand, sondern meistens eine Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen auf Kosten der Allgemeinheit und meistens (auch hier) der finanziell Schwächeren. Und nun also die Werteunion, die da mal so ganz selbstverständlich den Begriff des „Wertkonservativismus“ für sich beansprucht.

Man muss nämlich beim Konservativismus zwei Arten unterscheiden: den Wertkonservativismus und den Strukturkonservativismus.

Ersterer möchte vor allem Werte bewahren, also zivilisatorische Errungenschaften. Daher kann man auch als links-progressiv denkender Menschen durchaus wertkonservativ sein, wenn man beispielsweise Armut verhindernde soziale Sicherungssysteme, ein hochweriges Bildungssystem für alle und ein funktionierendes Gesundheitssystem für eine gute Sache hält. Da diese drei Sachen ja in den letzten Jahrzehnten zunehmend demontiert wurden vonseiten der Neoliberalen, ist eine Bemühen, hier einmal Erreichtes zu bewahren oder wiederherzustellen, wertkonservativ, aber zurzeit vor allem im politisch linken Spektrum anzutreffen. Und auch Dinge wie die UN-Menschenrechtserklärung oder die Genfer Flüchtlingskonvention werden von Wertkonservativen geschätzt.

Strukturkonservative hingegen geht es nicht um zivilisatorische (oder gar soziale) Werte, sondern darum, (Macht-)Strukturen aufrechtzuerhalten und nicht zu verändern. So finden Anhänger dieses Konservativismus patriarchalische Muster gut und möchten auch nicht, dass sich an den Eigentumsverhältnissen zugunsten derer, die ärmer sind, etwas ändert: Wer viel hat, soll auch nach wie vor viel haben (oder noch mehr bekommen). Auch die Aufrechterhaltung von Grenzen und national(istisch)en Identitäten gehört dazu. Dieses strukturkonservative Denken findet sich vor allem bei Anhängern von CDU, FDP und AfD.

Und genau aus der inhaltlichen Schnittmenge dieser drei Parteien hat sich nun 2017 die sogenannte Werteunion gegründet. Dabei gehe ich davon aus, dass der Name nicht zufällig gewählt wurde, denn den dort Aktiven dürfte ja selbst schon klar sein, dass sie strikt strukturkonservativ sind, was bis hin zu reaktionären und nationalistischen Positionen reicht.

Mal ein Zitat aus dem Wikipedia-Profil der Werteunion:

Die Werteunion bekennt sich unter anderem zur „westlichen Wertegemeinschaft“ und tritt für einen „gesunden, weltoffenen Patriotismus“ sowie einen „starken deutschen Rechtsstaat“ ein. Was diese Wertorientierung konkret bedeutet, zeigt ein Vergleich programmatischer Äußerungen der Werteunion mit den Grundwerten der Unionsparteien. Während die CDU seit ihrer Gründung die Menschenwürde, den „Wert jedes einzelnen Menschen“, als Orientierungsgrundlage „im politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben“ angesehen und sich für Religionsfreiheit und Minderheitenrechte eingesetzt hat und auch im aktuellen CDU-Grundsatzprogramm die Orientierung „an den Grundwerten Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit“ mit der „unantastbaren Würde“ des Menschen begründet wird, ist für die Werteunion nicht jeder Mensch und jede Religion in gleichem Maße schützenswert. So wird – während des libyschen Bürgerkriegs – gefordert, dass „im Mittelmeer aufgegriffene Migranten an die Küste zurückgeführt werden, von der sie gekommen sind“. Von Zuwanderern wird „Assimilation statt Integration“ und die Orientierung „an einer europäisch-deutschen Leitkultur“ verlangt. Sozialpolitik gehört, anders als in den Programmen von CSU und CDU, nicht zum Forderungskatalog. Die Haltung der Werteunion gegenüber denen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, ergibt sich aber daraus, dass im Konservativen Manifest Schuldenabbau und Entlastung von steuerlichen und sozialen Abgaben gefordert und zugleich Wert auf die „Wahrung des Lohnabstandsgebots“ gelegt wird. Kulturpolitisch hatte die CDU 1946 die „Reinigung von nationalsozialistischem Denken“ als vordringliche Aufgabe angesehen, während die Werteunion glaubt, vor allem „der Verbreitung roten Gedankengutes entschieden entgegentreten (zu) müssen“.

Das liest sich ganz schön gruselig und könnte auch direkt aus den kranken Hirnen von AfDlern entsprungen sein, oder? Mit Werten, die in der Bundesrepublik zumindest vor einigen Jahren noch als Konsens galten, hat das allerdings sehr wenig zu tun.

Da der Begriff des Strukturkonservativismus allerdings zunehmend in Misskredit geraten ist, was m. E. auch mit dem offensichtlichen Scheitern der neoliberalen Strukturen zu tun hat, soll nun also allem Anschein nach der Begriff des Wertkonservativismus okkupiert und somit eindeutig ins rechte Spektrum verschoben werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies dazu genutzt werden soll, um Parallelen mit linken Wertkonservativen aufzuzeigen, sondern vermutlich dürfte es die Absicht sein, diese so entweder zu diskreditieren oder selbst weiter nach rechts zu drängen.

Zudem wird der an und für sich positiv besetzte Begriff „Werte“ ja auf diese Weise auch reichlich in den Dreck gezogen, was eine Fortsetzung der unsäglicherweise immer wieder bemühten westlichen „Wertegemeinschaft“ ist. Wie weit es mit deren Werten her ist, sieht man spätestens bei den Tausenden von Menschen, die im Mittelmeer zur Abschottung dieser Wertegemeinschaft ertrinken. Und natürlich auch an Waffenexporten, der Unterstützung von Despoten, solange sie den eigenen wirtschaftlichen Vorstellungen dienlich sind, und dem Abschließen von Handelsabkommen, durch die Armut im globalen Süden vergrößert wird.

Es läuft also darauf hinaus, dass Werte dann irgendwann nur noch als egoistisches Verfolgen des eigenen Vorteils, notfalls auch mit Gewalt, verstanden werden – so wie es ja mit dem Begriff „Freiheit“ bereits geschehen ist.

Es erscheint mir also wichtig, diese sogenannten Werteunion damit zu konfrontieren, dass es ihnen mitnichten um Werte, sondern um Strukturen geht, die erhalten werden sollen. Und das ist eben ein enorm großer Unterschied!

Lassen wir uns von den rechten Sprachmanipulatoren nicht aufs Glatteis führen!

Print Friendly, PDF & Email

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

2 Gedanken zu „Das Kapern von Begriffen – heute: die Werteunion“

  1. Es gibt nur noch einen Wert und der heißt „individuelle Freiheit“, was wiederum ein anderes Wort für Egoismus ist. Wertekonservatismus, so wie wir beide ihn verstehen, Karl, ist längst aus der Mode gekommen oder anders gesagt, er wird individuell, je nach eigenem Gusto definiert und damit gemäß des Egoismus der interpretierenden Person. Zu diesem zugegeben vernichtenden Urteil bin ich mittlerweile gekommen.

    Deshalb ist es auch nicht sehr verwunderlich, dass die Strategie des Kaperns von Begriffen und damit von Ideen, das Uminterpretieren guter Ideen in flache und oberflächliche Ideen, oft sogar mit gegenteiligen Aussagen versehen, ins Gegenteil verkehrt, welches ich seit den späten 70ern bewusst wahrnehme – Geißler ist für mich der geistige Vater dieser Strategie hier in Deutschland – immer deutlicher diese scheinheilige Gesellschaft für wieder die eigenen Zwecke quasi zweckdienlich macht.

    Es ist für mich lange schon ein Grund mit, warum positive Visionen, geschweige denn Utopien, des linken Spektrums fast keine Chance mehr haben überhaupt noch als Solche wahrgenommen zu werden, im Gegenteil ist doch zu beobachten, dass sie dann schnell mit irgendwelchen hinkenden Vergleichen versehen, mit fadenscheinigen Erzählungen versehen, immer öfter und immer schneller als Dystopien abqualifiziert werden können.

    Lange Rede kurzer Sinn: die Restauration schreitet fort und das mit immer größeren, Raum greifenderen Schritten.

  2. Ja, das liest sich in der Tat ja reichlich ekelig, was die Werteunion da vertritt, danke. Du hattest 2017 mal hier ein passendes Buch zum Thema der Begriffspervertierung eingestellt, das dürfte inzwischen doppelt so dick ausfallen.
    Wenn man das Wort „Werte“ entsprechend ergänzt und damit auf den rein finanziellen Aspekt lenkt, z. B. als „Geldwerteunion“, dann wird klar wofür deren Werte hier stehen. Dann ergeben die Forderungen auch wieder einen rundes Bild: „… Entlastung von steuerlichen und sozialen Abgaben …“. Man möge doch den nimmersatten, gierigen und rücksichtslosen weiter den Rachen mit gebratenen Tauben stopfen.

Schreibe einen Kommentar