Die tagesschau wird ja von vielen Menschen immer noch als seriöseste Nachrichtenquelle angesehen. Auch wenn ich die öffentlich-rechtlichen Medien sinnvoll und qualitativ in der Regel besser als die Privatsender empfinde, so hab ich doch zuweilen schon etwas an der Einseitigkeit des ARD-Flaggschiffs zu kritisieren gehabt. Was da nun allerdings in einem Kommentar von Thomas Berbner (NDR) vom Stapel gelassen wurde, zeigt, dass man sich offenbar mittlerweile eindeutig auf die Seite von Rechts bis Rechtsaußen geschlagen hat und dabei auf BILD-Niveau polemisiert.
Zu sehen ist dieser etwa zweiminütige Kommentar in der Sendung vom 16. 12. ab Minute 9:40 auf dem YouTube-Kanals der tagesthemen. Einfach mal anschauen und einen Moment sacken lassen, ohne dabei die zuletzt zu sich genommene Mahlzeit unfreiwillig wieder von sich zu geben.
Dieser Verbalmüll strotzt nämlich nur so vor Unwahrheiten, plumpem Grünen-Bashing, BILD-Agitation und damit Wahlwerbung für rechte Parteien von CDU/CSU über FDP bis AfD, dass es einem die Sprache verschlagen kann.
Schon der Einstieg, dass drei Jahre Ampel-Koalition angeblich die Wirtschaft ruiniert hätten, ist eine Frechheit. Mal abgesehen von den Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie der durch den Ukraine-Krieg verursachten Energiekrise (beides Ereignisse, die nicht von der Ampel zu verantworten sind), wird da schlicht und einfach ausgeblendet, dass vor allem 16 Jahre Stillstandspolitik der diversen Merkel-Regierungen für die Zustände in unserem Land verantwortlich sind. Und dass beispielsweise auch einige Krisen hausgemacht sind von den deutschen Unternehmen, beispielsweise in der Autoindustrie, wo schlichtweg Digitalisierung und Elektrifizierung verpennt (oder ignoriert) wurden. Ach ja: Und die dämliche Schuldenbremse, an der ja vor allem FDP und CDU immer noch festhalten, ist auch ein schwerwiegender Faktor für eine suboptimale Wirtschaftspolitik, da diese so nämlich nicht mehr antizyklisch agieren kann.
Und auch wenn ich kein Fan von Bundeskanzler Olaf Scholz bin, scheint mir die Kausalität, dass er nun dafür verantwortlich sei, dass Tausende Bundesbürger ihren Job verlieren würden, reichlich absurd. Vor allem wenn man sich das „Argument“ von Berbner anhört: Scholz habe es zugelassen, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck „Klimaschutz mit der Abrissbirne“ betreiben würde.
Hab ich da was nicht mitbekommen? Wurde beispielsweise Tempo 130 eingeführt? Wurde die Bahn saniert und der Autobahnbau zurückgefahren? Wurde Glyphosat endlich verboten? Ach nee, ist ja alles nicht der Fall, stattdessen gab es den Bau von LNG-Terminals zum Import von US-Fracking-Gas. Nur mal ein paar Beispiele, die zeigen, wie grotesk diese Aussage ist – was sich ja auch darin widerspiegelt, dass Klimaschutzorganisationen wie beispielsweise Fridays For Future schwer enttäuscht von der Regierungsarbeit der Grünen in der Ampel sind.
Und weiter geht’s mit den Lügen, und zwar so offensichtlich, dass es schon wehtut: Angeblich hätte Scholz Habeck gestattet, mitten in einer Energiekrise Atomkraftwerke abzuschalten. Mal davon abgesehen, dass der Atomausstieg schon vor langer Zeit von einer CDU-geführten Bundesregierung beschlossen wurde, so wurde dieser ja gerade durch die Laufzeitverlängerung der letzten drei AKWs noch ein paar Monate hinausgezögert. Wie offensichtlich kann man eigentlich Unwahrheiten verbreiten, ohne rot zu werden? Und dann gleich noch nachlegen von wegen „grüner Ideologie“, die Habeck wichtiger sei als „das Land und seine Bürger“. Das ist lupenreiner AfD-Sprech – geht’s noch? Wenn Habeck tatsächlich noch von „grüner Ideologie“ beseelt gewesen sein sollte, dann hätte er wohl kaum wenig ökologische LNG-Terminals bauen lassen.
Nicht fehlen darf dann natürlich gerade aktuell der Verweis auf die Dunkelflaute, was diese Journalistenkarikatur dann als „Ergebnis des deutschen Energiewendeirrsinns“ (schöner PR-Slogan aus der untersten Schublade von der Fossile-Energien-Industrie) bezeichnet, und über die angeblich deswegen explodierenden Strompreise würden sich auch die Nachbarländer aufregen. In der Tat gab es gerade eine kurze Periode mit kaum Wind- und Sonnenenergieerzeugung, dass allerdings die deutsche Bundesregierung für die deswegen hohen Strompreise verantwortlich wäre, schreibt zwar die BILD (und leider haben auch viele andere Medien mal wieder davon abgeschrieben), ist aber schlichtweg falsch. Denn schließlich gab es diese hohen Strompreise in viele europäischen Ländern, von Irland bis nach Rumänien (s. hier). Zudem könnte hier wohl auch ein spekulativer Grund des ja immer so viel gepriesenen Marktes vorliegen, indem die Betreiber von fossilen Kraftwerken mit einer konzertierten Aktion die erneuerbaren Energien in Verruf bringen wollten. Was ja auch ziemlich gut gelungen ist.
Zudem könnte man ja auch erwähnen, dass der Hauptkritikpunkt der schwedischen Energieministerin Edda Busch nicht die deutsche Energiewende war, sondern dass es hierzulande keine in anderen Ländern bereits üblichen Strompreiszonen gibt (s. hier). Aber dafür ist ja auch nicht die Bundesregierung verantwortlich, sondern in erster Linie die bayrische Landesregierung, die sich dagegen sträubt wie nichts Gutes. Dann würde nämlich zum einen klar ersichtlich, dass Bayern total hinterherhinkt bei der Stromerzeugung und zum anderen deswegen für die Bayern der Strom teurer würde. Und mit den rechten Kaspern Söder und Aiwanger will es sich Berbner wohl nicht verscherzen – zumal das ja auch nicht in seinen plumpem Bashing-Beitrag passen würde.
Als Nächstes kommt Berbner dann auf den verfassungswidrigen Haushalt von Olaf Scholz zu sprechen, ohne dabei zu erwähnen, dass es vor allem die dumme Schuldenbremse ist, die das Problem erzeugt hat. Zumal ja nun, wie ich vor etwa einem Jahr schon mal in einem Artikel ausgeführt habe, vor allem der Finanzminister für den Haushalt verantwortlich gemacht werden sollte. Aber so was ist von einem FDP-Fan wie diesem NDR-Fuzzi eben nicht zu erwarten, da drischt man lieber schön in Rechtsaußenmanier auf die Ampel generell bzw. den Bundeskanzler ein. Zumal man so ja auch noch einen schönen Seitenhieb auf die hohen Sozialausgaben loslassen kann, denn so wettert man nicht nur gegen ökologische Politik, sondern schürt auch noch gleich ein bisschen Sozialdarwinismus.
Nun möchte Berbner als Nächstes seine eigene Expertise hervorheben, indem er betont, dass er ja schon vor einem Jahr Christian Lindner aufgefordert hätte, das „Trauerspiel der selbsternannten Fortschrittskoalition“ zu beenden. Nur mal zu Erinnerung: Die FDP hat zwar intrigant am Zerbrechen der Koalition gearbeitet, aber letztlich wurde Lindner dann von Scholz gefeuert, weil er eben nicht genug Arsch in der Hose hatte, selbst den Hut zu nehmen. Und dass dieser Bundesregierung keine fortschrittliche Politik gelungen ist, lag ja nun vor allem auch daran, dass die FDP jedes noch so winzige progressive Ansinnen sogleich torpediert hat.
Kommen wir nun zur offenen Wahlwerbung für die FDP: Berbner ist froh, dass die FDP nun deutlich gemacht hat, dass sie „diese verantwortungslose Regierungspolitik der Deindustrialisierung“ nicht mehr mittragen wollten. Ach so: Sich vor der Regierungsverantwortung zu drücken, monatelang bewusst am Scheitern der Regierung zu arbeiten und dabei jede konstruktive Politik zu hintertreiben, ist als dann nach dieser Lesart verantwortungsvoll. Was nimmt der Typ eigentlich für Drogen, um sich so einen Bockmist zurechtzuschwurbeln? Und das mit der Deindustrialisierung ist natürlich auch kompletter Unfug, denn zum einen ist Deutschland immer noch eine der führenden Industrienationen, zum anderen sind viele wirtschaftliche Probleme eben, wie oben bereits gesagt, auf die Merkel-Regierungen und Unternehmensfehler zurückzuführen. Was noch hinzukommt: Die FDP-Klientel der Vermögenden feiert ja nach wie vor Party, denn denen geht es in dieser „Wirtschaftskrise“ ja zunehmend besser (s. hier). Aber so eine differenzierte Betrachtung darf man wohl von jemandem wie Berbner, dem es vor allem um Angst- und Stimmungsmache geht, nicht erwarten.
Wenn man so verquer denkt wie Berbner, dann müssten die Grünen ja schon enorme Superkräfte haben, wenn sie denn 16 Jahren supertolle Merkel-Politik auf einmal in gerade drei Jahren komplett ruinieren könnten …
Und klar, der Vorwurf des „rot-grünen Schuldenmachens war dem Kanzler wichtiger als die Zukunft unseres Landes“. Diese Aussage zeugt von so wenig Wissen über ökonomische Zusammenhänge, dass man Opa Zauselbart mal kräftig schütteln möchte, um vielleicht zumindest ein bisschen Ordnung ins derangierte Oberstübchen zu bringen. Nahezu alle unsere derzeitigen wirtschaftlichen Probleme, von den zukünftigen Problemen durch fehlenden Klimaschutz und vergammelnde Infrastruktur mal ganz abgesehen, sind auf die Schuldenbremse zurückzuführen (s. hier).
Zum Abschluss dann noch ein Slogan aus der Mottenkiste derjenigen, die von Ökonomie keine Ahnung haben: „Geld, das man ausgibt, muss man erst mal erwirtschaften.“ Nein, muss man nicht, schon gar nicht, wenn man ein Staat ist, denn dann kann man solche Sachen machen, wie Staatsanleihen (die übrigens für private Lebensversicherungen und Altersvorsorge sehr wichtig sind) auszugeben. Und selbst Unternehmen nehmen zuweilen Kredite auf, um wichtige Investitionen zu tätigen. Die „schwäbische Hausfrau“, die ja das Leitbild von Merkels CDU-Wirtschaftsdilettantismus war, ist nach wie vor untauglich, um volkswirtschaftliche Prozesse zu veranschaulichen. Scheint sich bis zu Berbner nur noch nicht durchgesprochen zu haben. Oder aber er kapiert das einfach nicht – was ich nun auch nicht ausschließen möchte, wenn ich mir sein bisheriges Gesabbel in diesem Kommentar so vor Augen führe.
Nun könnte eine „Neuausrichtung“ folgen, denn „der Spuk“ sei nun endlich vorbei. Klar, eine Neuausrichtung mit einer Politik von vorgestern, wie sie von CDU/CSU, FDP und AfD propagiert wird. Gute Idee, alter weißer Mann …
Natürlich handelt es sich hierbei um einen Kommentar, also eine persönliche Meinungsäußerung. Doch auch diese sollte gewissen journalistischen Mindeststandards unterliegen und nicht einfach nur Lügen weiterverbreiten. Dafür gibt es eben schon die BILD, das öffentlich-rechtliche Fernsehen sollte da m. E. schon einen anderen Anspruch haben. Doch diesen Anspruch hat man mit so einem Beitrag offenbar schon zu Grabe getragen.
Wer jetzt immer noch von „linksgrünen“ Medien schwafelt, nur weil es ein paar Sendungen wie Monitor und Die Anstalt oder auch die eine oder andere kritische Reportage im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehe gibt, der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt oder will bewusst täuschen. Schon seit Längerem deutet sich ja an, dass rechte und konservative Positionen bevorzugt vertreten und diesen eine Bühne geboten wird in den meisten Medien. Mit diesem Kommentar von Thomas Berbner, der eher in den Bereich Wahlwerbung für FDP, CDU und AfD fällt, wird das nun schließlich so deutlich, dass man das nicht mehr wegdiskutieren kann.
Wobei: So hemmungslos, wie mittlerweile einfach Lügen in vermeintlichen Qualitätsmedien verbreitet werden, kann man wohl jede Realität und Tatsache einfach wegdiskutieren …