aufstehen

Heinz hat ja gestern bereits in seinem Artikel die neue linke Sammelbewegung „aufstehen“ erwähnt, die in den letzten Tagen nicht nur erstmal mit einer Website an die Öffentlichkeit gegangen ist (offizieller Start ist der 4. September), sondern auch gleich reichlich viel Kritik von allen Seiten einstecken musste. Dass dabei vonseiten der neoliberalen Medien wenig Gutes an einer solchen Bewegung, die, so zumindest mein erster Eindruck, vor allem sozialpolitische Themen in den Fokus der Öffentlichkeit rücken will, gesehen wird, überrascht natürlich nicht gerade, wenngleich die Vehemenz schon erstaunlich ist. So verstiegt sich beispielsweise der reaktionäre Historiker Michael Wolffsohn in der BILD dazu, die Bewegung mit der NSDAP zu vergleichen, was nicht nur auf BILDblog. für Verwunderung sorgte. So weit, so vorhersehbar. Was mich allerdings dann schon verwundert hat, ist die massive und in großen Teilen auch unsachliche Kritik, die von linker Seite geäußert wurde (s. zu den medialen Reaktionen auch einen Artikel von Jens Berger auf den NachDenkSeiten).

Anfang Juni wurde schon einmal eine Bewegung mit ähnlicher Intention ins Leben gerufen: die „Progressive Soziale Plattform“. Deren Initiatoren finden sich nun zum Teil auch bei „aufstehen“, so zum Beispiel der SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow, doch derart heftige negative Reaktionen gerade vonseiten Linker gab es auf diese Bewegung nicht. Der Unterschied: Sahra Wagenknecht, die als Aushängeschild von „aufstehen“ fungiert und auch so wahrgenommen wird. Und da sieht man dann, wie sehr die auch hier bei unterströmt (s. beispielsweise hier, hier und hier) schon öfter thematisierte Kampagne gegen die populäre Linken-Politikerin verfangen hat, mit der sie in eine rechte Ecke gerückt werden sollte. Dazu kommen dann noch parteiinterne Animositäten (von Linken-Politikern gegen Wagenknecht, von SPDlern gegen ihren Mann Oskar Lafontaine), sodass sich vermutlich sowohl das neoliberale Establishment als auch AfD und Konsorten vor Freude die Hände reiben, dass sich die Linken in Deutschland mal wieder gegenseitig zerfleischen und somit ein gern genutztes Klischee bestätigen.

Dabei ist ja im Grunde noch nicht mal klar, welche Programmatik „aufstehen“ überhaupt verfolgen wird, da bisher nur einige Videostatements von Bürgern auf der Website zu finden sind. Und soweit ich diese gesehen habe, geht es dabei vor allem um Sozialpolitisches, was zwar von der Mehrheit der Bevölkerung gutgeheißen wird (Behebung des Pflegenotstands, Bekämpfung der Altersarmut, Maßnahmen gegen die Mietenexplosion usw.), in den Parlamenten aber eben keine Mehrheiten hat. So wie Tom Wellbrock es in einem Artikel auf neulandrebellen beschreibt, sehe ich es auch: Es ist höchste Zeit, dass diese sozialen Themen wieder vermehrt in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Sollte das nicht eigentlich ein zentrales Anliegen von links denkenden Menschen sein?

Stattdessen werden nun die ganzen alten Vorwürfe aus der Mottenkiste von BILD und Co. aufgefahren: Eine linke Bewegung könne nicht nationalistisch und flüchtlingsfeindlich sein, und das wäre bei Wagenknecht ja der Fall. Auch wenn m. E. an diesen Anschuldigungen wenig dran ist, so finde ich es doch auch merkwürdig, eine Bewegung an den Äußerungen einer einzigen Person festzumachen. Aber klar, Wagenknecht ist als erfolgreiche und selbstbewusste Frau schon mal ein Reiztuch gerade für ältere Männer (s. dazu einen leider nur gegen Bezahlung lesbaren hervorragenden Artikel von Laurie Penny in den Blättern für deutsche und internationale Politik, die geschlechtsspezifische Anfeindungen auch schon oft genug aus dem linken und liberalen Lager erlebt hat), und dann kann man ja auch auf die bereits erwähnte Kampagne gegen sie aufbauen.

Und natürlich wird Wagenknecht auch als gefährlich angesehen aufgrund ihrer große Popularität über die Wählerschaft von Die Linke hinaus. Das ist eben auch der Grund dafür, dass „aufstehen“ mit so viel mehr Resonanz, gerade auch in From von Unterstützern (gut 30.000 bereits am ersten Tag, als die Website online ging), gestartet ist als beispielsweise die „Progressive Soziale Plattform“. Sowohl braven Parteisoldaten von SPD und Grünen als auch Salonlinken, die zwar gern utopische Vorstellungen pflegen, aber von konkreten Handlungen im Hier und Jetzt dann lieber doch nichts wissen wollen, dürfte es da schon ein bisschen mulmig geworden sein.

Und so machen viele der (pseudo-)linken Kritiker genau das, was man sonst gern den Rechten (sehr zu Recht) vorwirft: Man kapriziert sich auf das Thema Flüchtlinge, und das auch noch in einer selektiven Art und Weise, die komplett außen vor lässt, was Menschen überhaupt in die Flucht treibt. Tom Wellbrock schreibt dazu im oben verlinkten neulandrebellen-Artikel treffend:

Wer ein guter Linker ist, lädt geflüchtete Menschen ein, komme, was da wolle. Selbst wenn es besser wäre, die Rahmenbedingungen in deren Heimatländern zu verbessern, selbst wenn man weiß, dass Krieg und wirtschaftliche Ausbeutung die Hauptursachen Nummer 1 sind, die zu beheben humanitäre Pflicht wären, selbst dann rückt man als gute Linker*in nicht von ihrer Willkommenskultur ab (oder wie auch immer man das politisch korrekt schreibt). Es ist schon grotesk, dass als rassistisch gilt, wer die Ausbeutung anderer Länder anprangert und als Menschenfreund durchgeht, wenn er die Ausbeutung stillschweigend hinnimmt. Würde man mich in einer vergleichbaren Situation fragen, was mir lieber wäre, als Flüchtling in einem anderen Land aufgenommen zu werden oder in meinem Heimatland unter lebenswürdigen Bedingungen bleiben zu können, ich bin mir sicher, ich würde lieber nicht auf Reisen gehen. Nicht mal mit dem Zug, geschweige denn in einem Schlauchboot.

Ich kann diese ganzen Attacken (als rein sachliche Kritik kann man das echt nicht mehr bezeichnen) gegen „aufstehen“ nicht so wirklich nachvollziehen, denn grundsätzlich finde ich die Intention hinter dieser Bewegung, soweit sie sich bisher erschließt, recht gut: „Links“ wieder als politischen Begriff mit positiven Zuordnungen in den öffentlichen Diskurs zu bringen. Linke Themen könnten so mal wieder auf die Agenda kommen und den Leuten bewusst machen, dass sie selbst eigentlich eine linke Politik sinnvoll finden könnten.

Zudem halte ich es vor allem auch für eminent wichtig, soziale Gerechtigkeit von links aus zu thematisieren. Wenn das nämlich irgendwann glaubwürdig (zurzeit noch deren Hauptproblem) von der AfD besetzt werden könnte, dann würde die Rechtspartei noch mal deutlichen Zulauf bekommen. Wenn es nach den Neoliberalen geht, sollten die Menschen, die zwar soziale Themen wichtig finden, aber aufgrund der medialen Fixierung auf das Thema Flüchtlinge anfällig für die Ressentiments und Parolen von rechts sind, lieber die neoliberale AfD wählen (s. ausführlicher dazu hier), doch ist das ein ziemliches Spiel mit dem Feuer – denn in dem Fall hätten wir dann tatsächlich die Zusammenführung des Nationalen und Sozialen, die Sahra Wagenknecht immer wieder angedichtet wird und in Form des Nationalsozialismus schon viel Elend in die Welt gebracht hat. Dass gerade die linken Kritiker von „aufstehen“ diesen Zusammenhang in ihrer Borniertheit nicht erkennen, ist tragisch und könnte ausgesprochen gefährlich sein.

Insofern warte ich nun erst mal ab, wie sich diese neue Bewegung bald inhaltlich konkretisieren wird, und bilde mir dann ein differenziertes Urteil darüber.

Print Friendly, PDF & Email

Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

4 Gedanken zu „aufstehen“

  1. Tatsächlich gibt es auch mal prominente mediale Fürsprecher für „aufstehen“, wie zum Beispiel Jakob Augstein in seiner Kolumne auf Spiegel Online.

    Neben der Notwendigkeit einer Bewegung, die sich zuvorderst um das Thema soziale Gerechtigkeit kümmern will, dass für viele Deutsche extrem wichtig ist, appelliert er vor allem eben auch, doch erst mal abzuwarten, wie denn überhaupt die genauen Positionen der Bewegung aussehen werden, wenn diese in einigen Wochen an die Öffentlichkeit gebracht werden.

  2. In der Hannoverschen Allgemeinen findet sich ein Interview mit Ludger Volmer. Der ehemalige Spitzenpolitiker von den Grünen ist einer der Mitinitiatoren der Bewegung „aufstehen“ und erläutert seine Beweggründe – die sich für mich recht nachvollziehbar anhören. Vor allem hört sich folgende Aussage auch recht vielversprechend an: „Die Grundsätze sind klar: antikapitalistisch, ökologisch, demokratisch, pazifistisch, antirassistisch.“

  3. Der Schriftsteller Bodo Morshäuser äußert sich in einem gut vierminütigen Beitrag auf Deutschlandfunk Kultur (liegt dort auch in transkribierter Form vor) kritisch zum heftigen Gegenwind, den „aufstehen“ in den letzten Wochen und vor allem bevor überhaupt konkrete politische Aussagen getätigt wurden, von vielen Seiten erfahren hat. Er bezeichnet dies als Beißreflex, der seiner Ansicht nach auch schon bei der AfD zum genauen Gegenteil der beabsichtigten Wirkung geführt hat. Nachvollziehbar!

Schreibe einen Kommentar