EU-Wahl

Am vergangenen Sonntag war die Wahl zum EU-Parlament, und das Ergebnis wurde von vielen Menschen recht positiv und als Zeichen, dass sich nun doch einiges zum Besseren wandeln könnte, gesehen. Gerade in Deutschland haben die beiden Volksparteien CDU und SPD massive Verluste eingefahren, die Grünen hingegen haben fast zehn Prozent im Vergleich zu letzten EU-Wahl 2014 zulegen können. Zudem hat die AfD in Deutschland nur moderate Gewinne einfahren können, und auch europaweit blieb der von vielen schon befürchtete rechte Erdrutsch aus. Also alles super? Ich kann zumindest die Begeisterung oder auch nur die Erleichterung vieler nicht so recht teilen.

Dazu möchte ich die einzelnen Parteien im Kontext dieser EU-Wahl etwas genauer betrachten.

CDU

Zunächst mal ist für mich im Vorfeld der Wahl deutlich geworden, wie sehr die CDU mittlerweile das demokratische Spektrum verlassen hat. Die antidemokratischen Reaktionen auf das mittlerweile über zehn Millionen Mal gesehene Rezo-Video, die ich ja auch letzte Woche hier auf unterströmt kommentierte, wurden nun nach der Wahl nahtlos so fortgesetzt, als beispielsweise die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer davon schwadronierte, dass man Meinungsäußerungen in digitalen Medien in Zeiten vor Wahlen regulieren solle (s. dazu hier).

Ja, wo kommen wir denn da hin, wenn Menschen einfach so ihre Meinung äußern, zumal wenn diese auch noch regierungskritisch ist? Da könnte ja so was wie ein demokratischer Meinungsbildungsprozess entstehen jenseits der sogenannten Leitmedien, die ihre Deutungshoheit eben nur allzu selten dazu nutzen, auch mal die CDU kritisch anzugehen. Also dann doch lieber Zensur und mal eben das Grundgesetz, dessen 70. Geburtstag gerade noch gefeiert wurde, mit Füßen treten.

Ein weiteres entlarvendes Statement hat CDU-Fraktionschef Burkard Dregger vom Stapel gelassen, wie Jung & Naiv auf ihrer Facebook-Wall dokumentierten:

https://www.facebook.com/jungundnaiv/photos/a.739025742776043/3033640803314514/?type=3&theater

Mit Ängsten auf Stimmenfang – ist das nicht genau das, was man der AfD (sehr zu Recht übrigens) immer vorwirft? Und nun bekennt sich der CDU-Fraktionschef dazu, genauso wie die Rechtspopulisten zu agieren, nur eben nicht besonders erfolgreich. Vor allem auch interessant, dass die CDU hier ähnliche Ängste wie die AfD zu instrumentalisieren sucht: Terror und Kriminalität.

Diese Wahl hat daher m. E. die CDU vollends demaskiert. Das könnte einerseits natürlich etwas Gutes sein, andererseits wählen ja immer noch fast 30 Prozent der Deutschen trotz alledem diese Partei. Das rechte Spektrum ist somit massiv angewachsen.

SPD

Die SPD setzt ihren Abwärtstrend konsequent fort, und das ist auch kein Wunder, denn sie trägt letztlich als Koalitionspartner alle Sauereien der Merkel-Regierung mit, wird dafür nur von ihren Wählern deutlicher abgestraft, da diese von der SPD irgendwie noch soziale Politik erwarten und sich CDU-Wähler allem Anschein nach ohnehin zu einem großen Teil nicht für Politik interessieren, sondern einfach stumpf ihr Kreuz dort machen, wo sie es schon immer gemacht haben (s. dazu hier).

Dass sich die Sozialdemokraten gerade auf EU-Ebene, beispielsweise beim umstrittenen Urheberrecht, dabei durchaus auch gegen die CDU gestellt haben, ist bei den Wählern kaum angekommen. Stärker in Erinnerung bleiben da dann schon Auftritte wie dieser vom mal wieder unsäglich blasierten Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz in einem Monitor-Beitrag (ab Minute 7:40) – einfach nur abstoßend, sich das feiste und verlogene Grinsen mit der „Ihr könnt mir gar nichts“-Attitüde anzuschauen. So gewinnt man keine Wähler zurück, denn Leute, die auf so was stehen, wählen ohnehin lieber FDP oder CDU.

Dass dann vonseiten der Parteiprominenz auch noch vor wenigen Wochen auf Juso-Chef Kevin Kühnert (für viele durchaus ein Sympathieträger) eingedroschen wurde, der es wagte, die Systemfrage zumindest mal zu thematisieren, hat dann auch sicher nicht dazu beigetragen, die SPD für progressiv denkende oder sozial eingestellte Wähler attraktiver zu machen.

Und wenn sie schon im Wahlkampf ihr Profil nicht glaubwürdig schärfen konnte, so ist das, was im Nachgang dann zu hören ist, noch gruseliger. Der ehemalige Parteivorsitzende Sigmar Gabriel kommt nämlich mit der tollen Idee um die Ecke, dass die SPD doch eine rechte Migrationspolitik betreiben sollte (s. hier). Wie bitte? Tummeln sich nicht in genau diesen ekligen Gefilden schon genug andere Parteien?

Nee, nee, SPD, so wird das alles nichts mehr – und das auch vollkommen zu Recht! Die Trümmertruppe, als die sich die Partei präsentiert, braucht wahrlich kein Mensch – wenngleich eine wirklich sozialdemokratische SPD extrem wichtig wäre, um wieder progressive Mehrheiten links von der CDU zu schaffen. Aber das kann man wohl auf absehbare Zeit erst mal vergessen.

Grüne

Die Grünen sind die Gewinner der EU-Wahl, denn sie sind in Deutschland zur zweitstärksten Partei nach der CDU geworden, deutlich vor der SPD liegend. Das führen viele Kommentatoren auf die Proteste von „Fridays For Future“ zurück, und auch mir erscheint dies durchaus stimmig.

Und auch bei den Grünen selbst scheint man das so zu sehen, zumindest hat der ansonsten von mir durchaus geschätzte Sven Giegold sich zur Aussage hinreißen lassen, der Wahlsonntag sei ein „Sunday For Future“ gewesen. Dem widersprachen dann allerdings die jungen Menschen von „Fridays For Future Köln“ auf ihrer Facebook-Wall mit deutlichen und m. E auch nachvollziehbaren Worten:

https://www.facebook.com/FridaysforFutureKoeln/photos/a.390384771703035/480081806066664/?type=3&theater

Schließlich stehen die Grünen ja für viele Menschen immer noch für ökologische Politik, doch in der Realität sieht das eben ein bisschen anders aus. Da muss man ja nur mal dorthin schauen, wo die Grünen (mit-)regier(t)en: In Hamburg haben sie zusammen mit der CDU das Kohlekraftwerk Moorburg gebaut, eine riesige Dreckschleuder, in Baden-Württemberg macht Winfried Kretschmann als grüner Ministerpräsident vor allem Politik für den Automobilkonzern Daimler-Benz, in Nordrhein-Westfalen haben sie vor einigen Jahren den Hambacher Forst zur Abholzung mit freigegeben, und auch aus Hessen sind mir nun noch keine revolutionären Klimaschutzmaßnahmen bekannt geworden.

Gerade weil sich die Grünen auch immer mehr der CDU anbiedern und in Bayern wohl sogar mir der CSU koaliert hätten, wenn diese nicht auf die bequemeren Freien Wähler hätte zurückgreifen können, sind Hoffnungen, dass mit dieser Partei eine ökologische Neuausrichtung der Politik zu bewerkstelligen sein würde, unberechtigt. Schließlich ist die CDU in ihrer Betonköpfigkeit mittlerweile auf einem derart offensichtlichen Immer-pro-Wirtschaft-und-nach-uns-die-Sintflut-Kurs, dass mit denen sicher keine umfassenden Klimaschutzmaßnahmen (die dringend nötig sind, und zwar sehr schnell) zu machen sind.

Und so postulierte die Spitzenkandidatin der Grünen Ska Keller dann auch gleich mal, dass sie sich durchaus einen EU-Kommissionschef Manfred Weber (CSU) vorstellen könnte (s. hier).

Solche Aussagen verdeutlichen, dass bei den Grünen auch nicht ansatzweise daran gedacht wird, die Systemfrage zu stellen (was bei der SPD Kevin Kühnert ja zumindest mal zaghaft versucht hat). Der Klimawandel ist nun mal eine konsequente Folge des kapitalistischen Wachstumsdogmas, zumal in seiner marktradikalen Ausprägung. Wer also da nicht an die wirklichen Ursachen ranwill, der wird auch keine wirklichen Klimaschutz betreiben.

Doch wollen die Grünen das überhaupt? Ich meine, nicht. Dazu muss man ja nur mal nach Baden-Württemberg schauen: Dort wählt der gut situierte Bürger die Grünen, hat deswegen ein reines Gewissen und bekommt letztlich CDU-Politik, die ihm aber auch nicht wehtut, weil sie keine wirklichen Veränderungen bringt. Als Noch-Profiteure des Klimawandels wollen die meisten Deutschen nämlich auch gar nicht so wirklich was Elementares ändern, was ihre Lebensgewohnheiten einschränken würde. Und da richten sich die Grünen eben an ihrer Wählerklientel aus – und an denen, die sie mit großzügigen Parteispenden bedenken (s. hier).

Und dann kommt bei den Realo-Grünen ja auch noch ihre transatlantische Nibelungentreue mit ins Spiel. Anders ist zumindest eine Twitter-Aussage von Ska Keller nur schwer zu deuten: „Höchste Zeit, endlich mit Nordstream Schluss zu machen!“ Natürlich wäre es schöner, wenn erneuerbare Energien genutzt würde, anstatt dass Gas verbrannt wird, allerdings muss man sich dann auch fragen, was denn kurzfristig als Ersatz für das russische Gas infrage käme, und da fällt mir nur eines ein: Fracking-Gas aus den USA, das nicht nur extrem umweltschädlich gefördert wird, sondern dann auch noch mit schwerölbertribenen Tankern nach Europa gekarrt werden muss. Ideologie schlägt da offensichtlich Ökologie …

Gerade bei den jungen Menschen und Erstwählern haben die Grünen extrem gut abgeschnitten:

 

Aus diesem Grund hört und liest man nun überall, dass also im Laufe der Zeit Union und SPD die Wähler „wegsterben“ und dann die jungen Menschen die Grünen zur stärksten Kraft machen würden (so zum Beispiel auch in einem durchaus lesenswerten Kommentar von Franz Alt auf Telepolis). Daran hab ich jedoch so meine Zweifel, denn die Jungen werden ja auch älter, und im Zuge dieses Prozesses werden sie zum einen erkennen, dass die Grünen nicht wirklich ökologische Politik machen, und zum anderen selbst besitzstandwahrende Tendenzen entwicklen: Wer im Laufe seines Lebens mehr Dinge und Wohlstand angehäuft hat, der hat auch mehr zu verlieren und dementsprechend weniger Lust auf Veränderungen.

Die Linke

Die Linke hat einige Verluste eingefahren im Vergleich zum Ergebnis von vor fünf Jahren, und da lohnt es sich, mal einen etwas genaueren Blick darauf zu werfen, wie das zustande kam. Dafür sind zwei Grafiken interessant, eine von der Tagesschau und eine, die sich auf Facebook fand:

        (Quelle)

Viele Wähler von den Linken sind also einfach zu Hause geblieben. Das könnte nun daran liegen, dass ihnen die EU nicht relevant erscheint, was ich allerdings für nicht so wahrscheinlich halte, da links denkende Menschen zwar einerseits die EU und deren demokratische Defizite eher kritisch sehen, aber andererseits auch internationale Perspektiven im Blick haben und weniger nationalstaatlich orientiert sind.

Ich vermute, dass der Hauptgrund dafür sein könnte, dass die Linke gerade ihre Galionsfigur Sahra Wagenknecht verliert, die ja ankündigte, sich aus gesundheitlichen Gründen aus der Politik zurückzuziehen. Wagenknecht war zwar in ihrer Partei durchaus umstritten, aber zweifellos für viele Menschen das Gesicht der Linken, die zudem in zahlreichen Talkshows meistens eine sehr gute, fundiert argumentierende Figur abgegeben hat. Ich denke also, dass viele Linke-Wähler im Grunde Wagenknecht-Wähler waren, die nun frustriert der Wahl ferngeblieben sind.

Und dieses Phänomen hat offensichtlich besonders in den ostdeutschen Bundesländern zugeschlagen, denn bis auf Rheinland-Pfalz hat die Linke in allen westdeutschen Ländern sogar hinzugewonnen – was allerdings die gravierenden Verluste im Osten nicht kompensieren konnte. Klar, Wagenknecht wird dort vermutlich auch noch mehr als „eine von uns“ angesehen, da sie ja als junger Mensch in der DDR aufgewachsen ist.

Insofern wäre die Linke gut beraten, sich weniger zerstritten zu präsentieren, als dies in den letzten Jahren der Fall war. Klar, Diskurs gehört nun mal zum linken Selbstverständnis, und das ist auch gut so, denn widerspruchslos einem Anführer hinterherzudackeln ist ja nun eher das Metier der Rechten. Allerdings wirkt es eben auf viele Wähler nicht gerade anziehend, wenn man den Eindruck bekommt, dass es vor allem um persönliche Animositäten geht bei den offen ausgetragenen Konflikten. Und: Die Linke täte gut daran, jemanden zu finden, der ähnlich charismatisch rüberkommt wie Sahra Wagenknecht. So jemanden kann man sich natürlich nicht schnitzen, nur wird daran für mich deutlich, dass es auch bei linken Wählern auf Persönlichkeiten und nicht nur auf rationale Inhalte ankommt.

Mit Inhalten erreicht man zwar eine gewisse progressive Klientel und kann diese sogar ausbauen durch gute Oppositionsarbeit, aber da ist dann eben irgendwann bei mittleren einstelligen Prozentzahlen Schluss. M. E. sollte die Linke ruhig mal ein bisschen mehr positiven Populismus (s. dazu hier) wagen, um so mehr Menschen anzusprechen, deren Interessen sie eigentlich vertreten, die aber kein explizites und ausgeprägtes politisches Verständnis haben. Rezo hat gerade gezeigt, wie das geht.

Zudem sind auch viele Linke-Wähler zu den Grünen umgeschwenkt. Das finde ich insofern ein bisschen absurd, da die Linke m. E. ein mindestens ebenso ökologisches Programm hat wie die Grünen (und zu deren Glaubwürdigkeit bei der Umsetzung hab ich ja oben schon was geschrieben), nur wird das eben nicht entsprechend kommuniziert, sodass das bei den Wählern nicht ankommt. Die Linke wäre also gut beraten, ihr ökologisches Profil, was ja bereits vorhanden ist, zu schärfen und aufzuzeigen, dass Klimaschutzpolitik nicht nur sozialverträglich machbar ist, sondern mit dem Abbau sozialer Verwerfungen harmoniert und Hand in Hand gehen muss.

Die auch sehr großen Verluste an Kleinparteien führe ich dann zum einen wieder auf den Wagenknecht-Abgang zurück, zum anderen auch darauf, dass viele LinkeWähler sich vielleicht eher bei einer kleinen Partei zu Hause fühlen, bei Wahlen auf Landes- und Bundesebene diese dann aber nicht wählen, weil sie ohnehin nicht über die Fünfprozenthürde (die ja fürs EU-Parlament nicht gilt) kommen. Normalerweise sollte sich also dieser Verlust bei den nächsten Nicht-EU-Wahlen wieder abmildern, allerdings hat Die Partei ja auch gezeigt, dass sie durchaus an die fünf Prozent herankommen könnte, was dann bei kommenden Wahlen vielleicht deren Wähler motivieren könnte, nicht nur auf EU-Ebene für die Satiriker zu stimmen.

FDP

Die FDP hat leider ein paar Prozentpunkte hinzugewonnen, was aber dem Trend der letzten Jahren entspricht, wenngleich dieser nun im Vergleich zur letzten Bundestagswahl etwas abgeschwächt zu sein scheint. Die Partei ist eben ein Lieblingskind vieler Alphajournalisten und wird daher mit viel medialem Wohlwollen behandelt. Da ist insofern ärgerlich, als dass mit der FDP nicht nur keine Klimaschutzpolitik zu machen ist aufgrund von deren hemmungsloser Klientelpolitik für Vermögende und Konzerne, die ja gerade ihre Profite mit der Zerstörung unserer Biosphäre machen. Zudem wird durch den stetigen Rechtsruck der FDP (s. dazu hier) der rechte Block gestärkt, sodass progressive Mehrheiten unwahrscheinlicher werden.

Insgesamt haben AfD und FDP gemeinsam fast so viel Stimmanteile hinzugewonnen, wie die CDU verloren hat. Diese drei Parteien wird man m. E. zukünftig als einen Block zu betrachten haben. Und die CDU dürfte so einer Bahamas-Koalition auch gar nicht so abgeneigt gegenüberstehen, denn schließlich kann man dann seinen eigenen marktradikalen Rechtskurs weiter fortsetzen und dabei noch auf „die anderen“ verweisen, wenn Kritik aufkommt.

AfD

Vor einigen Monaten waren der AfD noch um die 20 Prozent prognostiziert worden, davon ist die Rechtsaußenpartei allerdings weit entfernt geblieben. Allerdings konnte sie ihr Ergebnis von vor fünf Jahren um fast vier Prozent verbessern. Das mag zum einen daran liegen, das die AfD sich mittlerweile etabliert hat und nicht mehr ganz so neu ist wie noch bei der letzten EU-Wahl, zum anderen zeigt sich darin aber auch der weiter anhaltende Rechtsruck in Deutschland.

Schließlich ist die AfD eine Partei, die die EU grundsätzlich ablehnt. Da fällt es dann schon mal schwerer, den eigenen Anhang für EU-Themen zu begeistern. Zumal das klassische fremdenfeindliche Feld der AfD ja durch die Abschottung gegenüber Flüchtlingen von der EU selbst schon hinreichend beackert wird, sodass da kaum Ansatzpunkte für die Rechtspopulisten bei ihrem Kernthema zu finden sind. Und für Dinge wie internationale Wirtschaftspolitik oder EU-Demokratiedefizite interessieren sich m. E. viele AfD-Wähler nicht, weil sie dafür schlichtweg zu blöd sind.

In Sachsen und Brandenburg wurde die AfD dennoch stärkste Partei, und das sollte einem schon zu denken geben, gerade im Hinblick auf die in diesem Jahr noch anstehenden Landtagswahlen in diesen beiden Bundesländern.

Ich kann also keinerlei Erleichterung empfinden ob dieses Ergebnisses, nur weil ein befürchteter noch höherer Stimmenanteil für die AfD ausgeblieben ist. Zumal man ja auch berücksichtigen muss, dass die „besorgten Bürger“ und „Euroskeptiker“, die eigentlich nichts mit Rassismus und völkischem Denken zu tun haben, aber dennoch die AfD in ihren Anfangstagen gewählt haben, mittlerweile auch mitbekommen haben müssen, was die AfD für ein brauner Haufen ist. Die Ausrede, dass ja auch viele Protestwähler bei der AfD ihr Kreuz machen würden, zieht ebenfalls nicht mehr. Wer heute AfD wählt, weiß, dass er damit offenen Rechtsextremismus unterstützt. Dass die Partei dennoch Zugewinne und keine Verluste einfährt, finde ich daher ausgesprochen besorgniserregend.

Kleinparteien

Dass die Kleinparteien zugelegt haben und insgesamt einen deutlich zweistelligen Stimmenanteil zu verzeichnen haben, finde ich generell positiv, da es zeigt, dass mehr Menschen, die sich nicht durch die „großen“ Parteien repräsentiert fühlen, dann mal was anderes gewählt haben – ist ja auch besser, als einfach zu Hause zu bleiben.

Natürlich spielt hier der oben angeführte Umstand eine Rolle, dass es bei der Wahl zum EU-Parlament keine Fünfprozenthürde gibt, sodass die Chance größer ist, bei der Wahl einer Kleinpartei dieser auch tatsächlich den einen oder anderen Abgeordneten zu bescheren und so durch seine Stimmabgabe auch politischen Einfluss zu nehmen.

Was das bringen kann, hat man ja an den sehenswerten Auftritten von Martin Sonneborn von Die Partei gesehen, die ihren Teil dazu beigetragen haben, dass die Satiriker nun dank 2,4 Prozent der Stimmen zwei Abgeordnete nach Brüssel schicken dürfen. Wer weiß, vielleicht ergibt sich daraus ja nun eine Wahrnehmbarkeit, die dafür sorgt, dass Die Partei auch in weitere Regional- oder Landesparlamente einzieht. In Zeiten, in denen man von Satire und Kabarett oftmals politisch Fundierteres und Vernünftigeres hört als von vielen Politikern, wäre das auch durchaus begrüßenswert, wie ich finde.

Nichtwähler

Auch wenn die Wahlbeteiligung im Vergleich zu 2014 um mehr als zehn Prozent angestiegen ist, empfinde ich die Gruppe der Nichtwähler immer noch als viel zu groß. Die Motive, nicht zu einer Wahl zu gehen, sind für mich auch generell nicht nachvollziehbar. Einige Nichtwähler werden einfach desinteressiert sein, was natürlich auch der Entpolitisierung in den letzten Jahrzehnten (Albrecht Müller hat in seinem Buch „Meinungsmache“ schon vor zehn Jahren ausgiebig etwas dazu geschrieben) geschuldet ist.

Andere halten ihr Fernbleiben der Wahl tatsächlich für eine Art revolutionären Akt, da sie „das System“ nicht unterstützen wollen, indem sie ihre Stimme „abgeben“ (auf dieses Verb kaprizieren sich solche Leute oft). Dass sie damit genau das politische Establishment stärken, da dieses eben seine Wähler immer motiviert bekommt, zur Wahl zu gehen, verstehen solche Menschen nicht – oder sie sind schlicht zu faul und suchen sich nun eine entsprechende Ausrede für ihre passive Bequemlichkeit.

Und dann gibt es natürlich noch die Frustrierten, die sich von keiner Partei mehr vertreten fühlen. Das ist auch ein Resultat von genereller Politikerschelte, die ja immer wieder zu vernehmen ist und diesen Frust weiter steigert. Einerseits ob des offensichtlich korrumpierten Gebarens prominenter Politiker irgendwie verständlich, andererseits auch nicht nachvollziehbar, warum man dann nicht einfach eine kleine Partei wählt, die in der Regel idealistische Kandidaten hat. Vielfalt ist da ja in jedem Fall gegeben.

Wenn die ganzen Nichtwähler tatsächlich nun abseits des „politischen Mainstreams“ gewählt hätten, wäre da schon ordentlich was losgewesen, denke ich. Zumindest geht aber hier die Tendenz mit einer gesteigerten Wahlbeteiligung in die richtige Richtung, und das ist für mich eigentlich auch der positivste Aspekt dieser EU-Wahl.

Und in Europa …

… sieht es generell auch nicht so richtig gut aus. Zwar wurde auch hier nicht dem Maße, wie befürchtet, für nationalistische Parteien gestimmt, aber ein Blick auf eine Karte (die ich auf Robert Zions Facebook-Wall fand) , auf der die stärksten Parteien der einzelnen Länder farblich markiert werden, ist schon erschreckend:

 

Schwarz bedeutet Konservative, braun sind die Nationalisten, in Gelb werden die Liberalen dargestellt und in Rot Sozialdemokraten.

Bis auf Schweden, Dänemark, die Niederlande (wobei hier hinzukommt, dass der Kandidat der europäischen Sozialdemokraten für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten Frans Timmermans dorther kommt, was ihm einiges an zusätzlichen Stimmen gebracht haben dürfte), Spanien und Portugal sieht es reichlich rechtslastig aus in der EU. In jedem Fall dominieren in allen übrigen Staaten Parteien, mit denen in puncto Klimaschutz nicht wirklich viel anzufangen ist.

Für mich reicht diese Art des Rechtsrucks in jedem Fall schon mal aus, um dem europaweiten Wahlergebnis nicht viel Positives abgewinnen zu können …

Fazit

Eine Erkenntnis, die ich aus der EU-Wahl gewonnen habe: Es wird immer weniger nach Inhalten als vielmehr nach Image gewählt, und das Image bei den Grünen ist halt noch, dass die irgendwie was für die Umwelt machen wollen – aller realen Politik von denen zum Trotz. Aus dem gleichen Grund wählen Menschen übrigens auch rechte Demagogen, weil diese das Image haben, was „fürs Volk“ gegen „die da oben“ zu machen, obwohl auch das ja reichlicher Mumpitz ist. Und Angela Merkel ist ja nun eine Meisterin der Imagepflege (s. dazu hier und hier), lässt andere die politische Drecksarbeit machen und sonnt sich im „Mutti“-Image. Nur darauf baut ja seit Jahren der CDU-Bundestagswahlkampf auf.

Das ist eben die Folge, wenn man mittels neoliberaler Indoktrination die Menschen jahrzehntelang entpolitisiert – und letztendlich auch verblödet. Da wird dann nicht geschaut, was eine Partei so in den letzten Jahren gemacht hat, wenn sie Regierungsverantwortung hatte, oder was sie in ihrem Programm stehen hat, sondern es geht darum, wer sich in zunehmend inhaltsarmen, zu Krakeelbuden verkommenen Talkshows am auffälligsten präsentiert und am nettesten vom Wahlplakat heruntergrinst.

Dabei würde gerade heute rationales Handeln so wichtig sein, denn wir haben echt nicht mehr viel Zeit – neun Jahre noch, um die Welt CO2-neutral zu gestalten, und zumindest auf EU-Ebene werden nun die nächsten fünf Jahre mit einem Weiter-so-Kurs, der eben auch von den Grünen mitgetragen wird, verdaddelt. Bleiben danach noch vier – könnte reichlich knapp werden, oder?

Der neoliberale Marktradikalismus sitzt europaweit fest im Sattel, auch wenn Portugal zeigt, dass ein anderer Weg nicht nur möglich, sondern eben auch erfolgreich ist. Aber dafür interessiert sich so gut wie keiner, und solange Nationalismus und fremdenfeindliche Ressentiments geschürt und die entsprechenden Parteien gewählt werden, wird sich daran auch nicht allzu viel ändern. Vielmehr sieht man ja, wie mittlerweile auch Parteien der sogenannten Mitte, wie gerade die CDU, antidemokratisch und grundrechtswidrig agieren, sobald sie auch nur ansatzweise das Gefühl haben, die Deutungs- und Regierungshoheit verlieren zu können.

Diese EU-Wahl zementiert somit das „Weiter so“, das uns zurzeit geradewegs in den Abgrund führt. Für mich insofern kein Grund zum Jubeln oder zur Erleichterung – ganz im Gegenteil.

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Karl

Jahrgang 1969, ist nach einem Lehramtsstudium und diversen beruflichen Tätigkeiten seit 2002 freiberuflicher Lektor (Auf den Punkt). Nach vielen Jahren in Hamburg, lebt er nun seit November 2019 in Rendsburg. Neben dem Interesse für politische Themen ist er ein absoluter Musikfreak und hört den ganzen Tag Tonträger. An den Wochenenden ist er bevorzugt in Norgaardholz an der Ostsee und genießt dort die Natur.

Ein Gedanke zu „EU-Wahl“

  1. Und da ging es dann ja auch ganz schnell, dass die Maske der Grünen fällt: Wie aus einem Beitrag von Christfried Lenz für pv magazine hervorgeht, hat gerade der Bundesrat dem Ausbau von LNG-Infrastruktur zugestimmt, die für den Import von Flüssigerdgas notwendig ist. Dieses wird nicht nur ressourcenintensiv über weite Strecken per Schiff angeliefert, sondern stammt u. a. auch aus den USA, wo es mittels Fracking gewonnen wird.

    Hätten sich die Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung wenigstens enthalten, wäre dieser Beschluss so nicht zustande gekommen.

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