Thüringen

Große Teile der Bevölkerung vertrauen dem Staat nicht mehr. Eine Tendenz, die außerhalb Deutschlands schon lange Beachtung findet, in Frankreich beispielsweise in dortigen intellektuellen Kreisen, leider sehr selten hier bei uns. Deshalb vertrauen sie auch den Parteien nicht mehr, die diesen Staat über Jahrzehnte getragen haben. Wem man nicht vertraut, den wählt man nicht mehr. Mehr noch, es werden die gewählt, die ihr Misstrauen gegenüber dem Staat wortreich zum Ausdruck bringen. Eine fatale Entwicklung, aber auch eine zwangsläufige Entwicklung, seit dem der Staat sich immer mehr zurückziehen muss, das Feld den Privaten überlassen muss, nun, durch Schuldenbremse ausgebremst, auch kaum wieder zurückkehren kann, sich hat Fesseln anlegen lassen durch die, die nun dem Misstrauen Zoll zahlen müssen.

Wer immer noch glaubt, dass das im Osten eine Protestwahl gewesen wäre, liegt genauso falsch, wie die, die nun behaupten, dass das alles nun Faschisten wären, die dem Faschisten Höcke dort ihre Stimme gegeben hatten, dass sie die AfD wegen Höcke gewählt hätten und nicht trotz Höcke, so wie es die Umfragen eigentlich vermuten lassen. Wer nun wieder von Menschenfeinden sogar spricht, Angst und Sorge vor Migration als Rassismus pauschaliert, hat nicht ansatzweise eine Antwort auf diese Entwicklung. So einfach ist es nämlich nicht!

So einfach war es nie und wird es auch nie sein, wie folgende Antwort auf die Frage, warum man die AfD gewählt habe, zeigt.

„Ich mache mir große Sorgen, dass sich Deutschland zu stark verändern könnte.“ Hauptmotiv der AfD-Wähler gemäß ARD-Umfrage mit 83 %

Die Wahl im Osten, wie die hohen Stimmenanteile im Westen für die AfD – die leider nur allzu gern vergessen werden in den Diskussionen -, können nicht monokausal erklärt werden. Die Gründe sind vielfältiger und auch oft an anderen Stellen zu suchen, als in den Aussagen und dem Programm der AfD. Letzteres spielt sowieso kaum eine Rolle, denn gelesen wurde es – wie die Programme aller anderen Parteien übrigens auch – sowieso nur von den Wenigsten, von den wirklich Interessierten nämlich.

Narrative, die nicht mehr als wahr wahrgenommen werden, schaden, weil sie das Vertrauen in die zerstören, die sich dieser Narrative bedienen

Die Wahl im Osten ist eine Abwahl der West-BRD und ihrer Narrative und das hat Gründe, die in den Narrativen zu suchen sind.

Wer immer noch von Sozialer Marktwirtschaft spricht, dabei aber außer acht lässt, dass für viele Menschen das Soziale gar nicht mehr wahrnehmbar ist, verliert an Vertrauen bei denen, die sich dieser permanent Beschallung durch die alten West-Parteien ausgesetzt sehen.

Wer immer noch die Behauptung „Deutschland geht es gut“ in die Welt hinaus posaunt und ignoriert, dass es eben vielen Menschen hier nicht gut geht, der sollte sich auch nicht wundern, wenn er oder sie nicht mehr ernst genommen wird.

Wer noch immer alles unter „Finanzierungsvorbehalt“ stellen will, an der Schuldenbremse dafür festhalten will, an Hartz festhalten will und nun sogar noch eine Sozialabgabenbremse im Grundgesetz einziehen will, der sollte sich nicht wundern, dass er und sie als das wahrgenommen wird, was er oder sie ist: den Märkten verpflichtet, den Reichen verpflichtet, aber nicht mehr den Menschen.

Wer zugelassen hatte, immer noch zulässt, dass der Staat sich aus vielen kleinen Kommunen zurückgezogen hatte und weiterhin zurückzieht, und damit nicht mehr wahrnehmbar ist, sollte sich nicht wundern, wenn der Staat an Vertrauen verliert und damit die, die ihn so gestaltet haben.

Wer weiterhin zulässt, dass Ärzte fehlen, Fahrschüler den halben Tag im Bus verbringen müssen, das Auto lebenswichtig geworden ist, weil man keine Einkaufsmöglichkeiten mehr vorfindet, selbst die Dorfkneipe zu machen musste, weil die Jugend weg ziehen muss, weil die Wenigen, die noch im Job sind, morgens sehr früh aus den Federn müssen, um überhaupt zum Job zu fahren, sich die Kneipe allein deshalb nicht mehr „leisten“ können, dass Treffpunkte der Gemeinschaft nicht mehr da sind oder wenn sie da sind, von Rechtsradikalen organisiert werden usw. usf., sollte sich nicht wundern, dass die Mehrheitsgesellschaft, und damit auch der Staat, in den Augen dieser Menschen nicht mehr als Sicherheitsfaktor wahrgenommen wird. Dass er, im Gegenteil, sogar als Belastung empfunden wird und dass die, die den Leuten Treffpunkte schaffen, oft dann als Ansprechpartner, als Kümmerer wahrgenommen werden. Ihm und ihr sollte klar sein, dass diese Ansprechpartner, Kümmerer – zumal sie meist in den Gemeinden verwurzelt sind und nicht von den Elfenbeintürmen herunter predigen – den Leuten dann auch das sagen, was sie sowieso schon täglich sinnlich wahrnehmen, das nämlich, dass sie dem Staat längst egal geworden sind zwischen den Wahlperioden, auch hier wiederum auf Zustimmung treffen, weil ihre sinnliche Wahrnehmung der Wirklichkeit nämlich genauso ist und nicht anders. Dass viele Menschen dann denen folgen, die ihnen ihre Wahrnehmung bestätigen, sollte nicht allzu sehr verwundern.

Wer dies alles macht und dann niemand anderes da ist, der anderes behauptet im demokratischen Lager, der anderes tun will, als das was die Marktwirtschaft über ihre Preise vorgibt, der sollte sich nicht wundern, wenn Rechtsradikal dann mit ihren Behauptungen auf offene Ohren trifft.

Rechts braucht keinen Staat, außer als Feindbild – Links sehr wohl!

Wer sich nun noch klar macht – sollte er oder sie bis hierher intellektuell mitgekommen sein; ich setze das nicht mehr voraus, auch nicht bei angeblichen Linken und Progressiven -, dass Links den Staat braucht, um linke Politik überhaupt machen zu können, weil Links den Staat für die Umverteilung braucht und linke Politik ohne Umverteilung eine Farce ist – wie man an der SPD dieser Tage gut sehen kann, welche sich dieser seit 20 Jahren vehement verweigert -, dem sollte auch klar werden, warum links zur Mitte als Alternative nicht mehr wahrgenommen wird. Das Vertrauen in den Staat ist bei vielen Menschen zerstört und genau darauf bauen die Rechtsradikalen derzeit ihr Modell auf, auf dem Misstrauen nämlich, welches sie leicht schüren können, weil die Parteien es auch zulassen, dass es geschürt werden kann. Mehr noch, sie brauchen den Staat nicht und wenn doch, so nur als Feindbild, solange er demokratisch ist, sich einen demokratischen Anstrich gibt, wie derzeit.

Misstrauen ist der Humus auf dem der Rechtsradikalismus gedeiht

„So erklären etwa Yann Algan, Elizabeth Beasly, Daniel Cohen und und Martial Foucault in ihrem Buch „Les Origines du Populisme“ den Niedergang der sozialdemokratischen Parteien mit der Erosion des Vertrauens. Die Wählerschaft der Linksparteien und die der Populisten stammen beide überwiegend aus den Schichten, die in wirtschaftlich unsicheren bis prekären Verhältnissen leben. Dieses Segment ist in der Folge der Wirtschaftskrise von 2008 grösser geworden. Dennoch haben die Sozialdemokraten keine Stimmen gewonnen, sondern massiv an die Populisten verloren.“ Werner Vontobel. Makroskop. 10.10.2019

Und weiter schreibt Vontobel …

“ Die Wähler der Linken (und der Mitteparteien) vertrauen den Mitmenschen und dem Staat. Die Wähler der Rechten haben wenig bis kein Vertrauen. Das ist auch der Grund dafür, dass sie den traditionellen linken Forderungen nach Gerechtigkeit und staatlicher Umverteilung wenig abgewinnen. Es könnten ja die anderen, die Ausländer und Arbeitslosen, profitieren.“ ebenda.

Er fügt hinzu …

„Das Pech der Linken ist, dass das Vertrauen in den westlichen Staaten seit langem (in den USA seit Mitte der 1970er Jahre) tendenziell zurück geht. Die Krise von 2008 und die hohe Arbeitslosigkeit haben diesen Trend beschleunigt.“ ebenda.

Seit den 70ern sinkt also das Vertrauen in den Staat, und es wäre eigentlich ein Leichtes zu erkennen, mit welchem Fakt diese Tendenz korreliert. Mit dem Siegeszug der Marktwirtschaft, dem „alles muss einen Preis haben“, dem „alles muss deshalb gehandelt werden, auch der Mensch“.

Linke, die das nicht erkennen – und ich sehe derzeit kaum Anzeichen dazu, dass sie es erkennen, vielleicht von den Thüringer Linken einmal abgesehen -, werden keine echte Alternative aufbauen können. Sie werden sich weiterhin wundern müssen, warum sie erkennen, dass der Staat gestärkt werden muss, aber die anderen genau das Gegenteil von dem wählen, was ihnen offensichtlich ist, oder sogar eine Alternative wählen, die einen ganz anderen Staat, eine ganz andere Gesellschaft zum Ziel haben. Hierdurch erklärt sich das Dilemma und das Versagen der linken und progressiven Parteien, aber auch der staatstragenden Konservativen, welches wir in Thüringen beobachten konnten, darüber hinaus beobachten können.

Die beiden Parteien in Thüringen, die den Staat entweder so klein wie möglich halten wollen (FDP) oder grundsätzlich verändern wollen (AfD), haben gewonnen, ihre Ergebnisse verdoppeln können. Beide profitieren vom Misstrauen, welches sich gegenüber dem Staat und der Gesellschaft herausgebildet hat, welches übermächtig zu werden droht.

Fazit

Wir reden zu viel über Folgen, beklagen sie, aber gehen nicht an die Wurzeln, an die Ursachen heran, im gesellschaftlichen Diskurs. Mehr noch, wir behaupten, anstatt zu hinterfragen, weil wir nicht wahrhaben wollen, dass wir im Sinne der Märkte, ihrer Marktwirtschaft, den Krämerseelen die Gesellschaft überlassen haben, meist sogar drittklassigen Buchhaltern. Viel zu wenige von uns erkennen, was die eigentliche Notwendigkeit wäre: die Marktwirtschaft einzuhegen, denn abschaffen können wir sie leider nicht, wie ich auch schon hier sagte.

Solange aber die Marktwirtschaft bestimmt, was gesellschaftlich opportun ist, weil die Politik sich marktkonform verhält, sich noch marktkonformer verhalten will (siehe hier und hier), solange wird das Misstrauen größer werden und mit ihm auch die AfD und deren Neofaschismus. Denn solange das so bleibt, wie es seit 3 Dekaden hier ist, wird der Staat immer mehr an Reputation verlieren und mit ihm die Parteien, die ihn solange getragen haben.

Letztendlich ist es eine Frage des Vertrauens, ist die große Herausforderung, vor der die Demokraten stehen, dem Staat wieder Reputation zu verschaffen und wie das ginge, sieht man oben im Text, man muss nur entsprechend anders handeln, als es die Marktwirtschaft von uns verlangt hatte und immer noch verlangt.

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Heinz

Jahrgang 1958, am Leben interessiert, auch an dem anderer Menschen, von Rückschlägen geprägt. Nach diversen Tätigkeiten im Außendienst für mehrere Finanzdienstleister und zuletzt als Lehrkraft auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Ökonomie und Gesellschaft, den Kapitalismus in all seinen Formen zu verstehen und seit Jahren zu erklären ist meine Motivation. Denn ich glaube, nur wer versteht, wird auch Mittel finden, die Welt zu einer besseren Welt zu machen. Leid und Elend haben ihre Ursache im Unverständnis.

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