Gerade findet eine Diskussion in der Öffentlichkeit statt, wer denn schuld sei am Aufstieg der AfD. Da meinen viele, das wäre Angela Merkel zuzuschreiben mit ihrem Satz „Wir schaffen das“, und natürlich gibt es dann auch einiges an Gegenstimmen zu dieser These. Mir ist diese Diskussion ein bisschen zu platt, denn es gibt da offenbar für viele wieder mal nur schwarz und weiß, was natürlich wenig zielführend ist, um die komplexen Ursachen zu diskutieren, die zum Wachsen der AfD geführt haben.
Ich gehe davon aus, dass diese Diskussion von einer ZDF-Doku mit dem Titel „AfD – Aufstieg in der Flüchtlingskrise“ losgetreten wurde. Darin wird die Entwicklung der AfD, die vor 2015 schon ein bisschen als Totgeburt galt und keine nennenswerten Wahlerfolge vorzuweisen hatte unter ihrem Gründer Bernd Lucke, geschildert, nachdem sich die Partei die Thematik der Geflüchteten als Hauptprogrammpunkt auserkoren und das Führungspersonal entsprechend umgestaltet hat: Der biedere Wirtschaftswissenschaftler und Eurokritiker Lucke weg, dafür dann Lautsprecher mit eindeutig fremdenfeindlicher Tonalität wie Frauke Petry an die Parteispitze. Und in Landesverbänden wurde es dann schnell recht offen rechtsextrem, beispielsweise mit Björn Höcke in Thüringen.
Allerdings wird dabei dann auch schon wieder das gängige, aber dennoch falsche Narrativ präsentiert, nämlich das von der lieben „Mutti“ Merkel, die all die gestrandeten Geflüchteten ins Land geholt und mit „Wir schaffen das“ die Losung vorgegeben hat. Leider war diese Losung nur Imagepflege von Angela Merkel, denn die tatsächliche Politik ihrer Regierung sah dann komplett anders aus. Das hab ich im Oktober 2015 in einem Artikel beschrieben, und passend dazu wurde seitdem nicht nur permanent das Asylrecht verschärft (Schließen der Balkanroute, Aussetzen des Familiennachzugs, Türkei-Deal, sicherer Drittstaaten, die alles andere als sicher sind …), sondern 2016 war auch das Jahr, in dem bisher am meisten Menschen aus Deutschland abgeschoben wurden (s. hier).
Was bei diesen ganzen Betrachtungen auch außer Acht gelassen wurde: Die sogenannten Flüchtlingskrise (ein Begriff, der übrigens eine ziemlich üble Täter-Opfer-Umkehr impliziert) kam nicht plötzlich, wie uns das immer weisgemacht wurde. Schon in seinem 2008 erschienenen Buch „Der Terrorist als Gesetzgeber“ befasst sich Heribert Prantl im Kapitel „Der Flüchtling als Verbrecher“ (S. 169 bis 190) mit der Thematik, dass aus Afrika immer mehr Menschen nach Europa kommen, während Europa sich vor allem dagegen abschottet.
Doch es wurde von Merkels Bundesinnenminister Thomas de Maizière einfach dreist gelogen, wie ein Video von Jung & Naiv in drei Minuten deutlich aufzeigt. Vor allem problematisch dabei: Merkel sagt „Wir schaffen das“, und die Kommunen wurden jahrelang finanziell ausgeblutet und nun mit der Aufnahme und Betreuung der Geflüchteten alleingelassen. Da ist es nicht allzu schwierig zu prognostizieren, das es mit dem Schaffen schon ein bisschen schwierig werden könnte. Insofern haben die Merkel-Regierungen die Schwierigkeiten, die sich bei der Aufnahme und Integration der vielen Geflüchteten seit 2015 ergeben haben und die bei vielen Menschen zu einem Gefühl der Überforderung führten (was dann ja auch von rechten Politikern von CDU/CSU über FDP bis zu AfD auch immer wieder weidlich ausgeschlachtet sowie von den meisten Medien über Gebühr thematisiert wurde), schon zu verantworten. Und damit eben auch die Tendenz der derart verunsicherten Menschen, sich den Bauernfängern der AfD zuzuwenden.
All diese Hintergründe fließen allerdings nicht in die Kritik ein, die zurzeit geäußert wird (auch von an sich recht reflektierten Menschen) an der Aussage, Merkel wäre schuld am Aufstieg der AfD:
Was ja vor allem an der Aussage von Merkels Schuld mitschwingt, ist, dass immer noch ihr Image aufrechterhalten wird, dass sie eine Freundin der Geflüchteten gewesen wäre aufgrund der Aussage „Wir schaffen das“ – die sich eben bei näherer Betrachtung als recht zynischer Populismus erwiesen hat, der nicht mit entsprechenden politischen Handlungen korrespondierte.
Was man dabei auch berücksichtigen muss: Die AfD ist nur ein Symptom des Rechtsrucks, der schon etwas länger zu beobachten war (natürlich in abgeschwächter Form im Vergleich zu heute). Das habe ich Ende 2016 bereits in einem Artikel beschrieben und dabei auch den Zusammenhang hergestellt, dass ein neoliberal radikalisierter Kapitalismus eben dazu tendiert, autoritäre, wenn nicht gar faschistische Strukturen aufzubauen.
Doch wie das leider meistens so ist, werden derartige systemische Zusammenhänge nicht erwähnt oder mitgedacht, sondern man begibt sich in ein recht banales Hickhack: „Merkel ist schuld!“ „Nein, Merz ist schuld!“
Sowohl Merkel als auch Merz sind beide Vertreter des gleichen Systems und damit auch der gleichen Politik. Und da diese Politik immer mehr Zerwürfnisse schafft – im sozialen Bereich, aber auch natürlich in puncto Klimakrise und ebenso bei der militärischen Sicherheit -, aber zugleich nicht konsequent infrage gestellt oder als Ursache für die vorhandenen Probleme gekennzeichnet wird, ist eine stringente Entwicklung der AfD von einer Kleinstpartei 2013 hin zu einer quantitativ ernsthaften politischen Kraft so um 2020 rum hin zur momentan laut Umfragen stärksten Partei zwingend logisch.
Dass natürlich eine Merz-CDU, die sich nicht mal mehr den Anschein gibt, noch in irgendeiner Form Menschenrechte ernst zu nehmen, und die Tonalität von Rechtsaußen komplett übernommen hat, zu einem weiteren Anwachsen der AfD führt, ist da auch eine Selbstverständlichkeit. Zumal das auch noch wohlwollend von viel zu vielen neoliberalen Medien flankiert wird, die AfD-Politikern immer wieder eine Bühne bieten, rechte CDU-Polemik unwidersprochen stehen lassen und somit zunehmend rechtsextremes Gedankengut hoffähig für diejenigen machen, die sich selbst als Mitte der Gesellschaft sehen.
Dass nun im Zuge der Diskussion, welcher der beiden Bundeskanzler mehr dazu beigetragen hat, die AfD stark zu machen, auch immer wieder mitschwingt, dass ja eigentlich die Geflüchteten das Problem seien, ist eine zusätzlich bittere Note an diesem ganzen Diskurs.
In jedem Fall sieht man wieder in erschreckendem Maße, dass viele Menschen offenbar einfache Einteilungen in Gut und Böse brauchen und nicht in der Lage oder willens sind, gesellschaftspolitische Entwicklungen mal in einen etwas umfassenderen Kontext einzuordnen.
Die AfD als parteigewordene Simplifizierung freut sich natürlich über so eine Entwicklung …




